Gesamtansicht Rezensionen

Ohne Lesezeichenband enthält das voluminöse Werk wahrhaft ein Dickicht dessen, was mittlerweile dem Fach Zeitgeschichte (Sigle ZG) zugewachsen. Ausgewählte Aspekte wie der des Wandels der Dispositive (1), des Personals (2), der Fachdisziplinen mit ihren Themen (3) und der Austrozentrik (4) sollen systematisierte Schneisen bilden. Allem voran (1) ist es die schwindelerregende Abfolge von „Turns“ („cultural“, „visual“, „memorial“ u.a.), welche die ZG in Zugzwang brachten. Ebenso Zugzwänge unter internationalem politischen Druck zugunsten einer sozialmoralischen Rehabilitation (Restitution von Raubgut in der NS-Zeit) in den 90er-Jahren. …

Die Studie ist eine werkbiographische Untersuchung des umfangreichen und wirkmächtigen Œuvre des schwedischen Reformators Olaus Petri (1493–1552). Sein theologisches, literarisches und historiographisches Schaffen wird im Spiegel der zeitgenössischen ereignisgeschichtlichen Vorgänge und Entwicklungen des schwedischen Königtums im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts analysiert. Dies findet seinen Ausdruck auch in der Gliederung des Bandes: …

In der Absicht, „neue Einsichten in die Ausformung der Identitäten im przemyslidischen Herrschaftsgebiet zu gewinnen“ (S. 16), werden zunächst deren Genese, das Führungspersonal und ihre Siedlungsgebiete skizziert; mit der prinzipiellen Konzession, dass „irgendeine Konzeption der Geschichte dieses Raums zu formulieren […] eher mühsam“ (S. 91) ist. Versucht wird dies dennoch mithilfe von überlieferten Quellen des 10. – 12. Jahrhunderts in Kombination mit dazu bereits verfügbaren theoretischen Konzeptionen. …

Bezeichnender Weise stellt der Verfasser das Ergebnis des der Neuzeit gewidmeten „Prologs“ als die für seine auf das Mittelalter bezogene „Fragestellung“ und sein „Vorgehen“ maßgebliche These voran: nämlich bis ins 20. Jahrhundert hätte keines der „Versuche einer slawischen Identitätsbildung und Gemeinschaftsstiftung jemals mehr als partikulare Ziele verfolgt“; entsprechende Vorstellungen konnten sich nicht „gegen die Egoismen der jeweiligen Nationalbewegungen durchsetzen“ (S. 41). Als ein Novum nimmt sich Mühle „eine zusammenhängende Analyse“ der „Slawen“ im Mittelalter zwischen einem „kulturalistischen Konstrukt“ und ihren „realen historischen Strukturen“ (S. 42/43) vor. Er überspannt die Zeiträume vom 6. bis zum 15. Jahrhundert. …

Die von der historischen „Schule der Annales“ aus Frankreich angestoßene „Geschichte des privaten Lebens“ wird hier auf „Transformationen des Privaten“ (S.33) in vier Ghettos (große in Warszawa, Łódź; kleinere in Piotrków Trybunalski, Tomaszów Mazowiecki) in Polen während der deutschen Okkupation angewendet. Der Abriss eingangs zum Vorleben der sowohl Ein- wie auch Weggesperrten dient vornehmlich der sozialen, räumlichen wie kulturellen Heterogenität der Juden in der Vorkriegszeit; genau auf dieses Vorleben werden sie dann auch nach der jähen Absonderung zur Lebensbewältigung durchaus erfolgreich referieren (vgl. S. 118). Zur Analyse wählt Haas die für alle relevanten Kategorien von „Zeit“ und „Raum“. …

Über sechs Jahrzehnte (1945-2005) erstreckte sich die Präsenz belgischer Streitkräfte in Westdeutschland. Als „Belgische Besatzungsarmee“ waren sie Teil der an Besetzung und Besatzung des besiegten Deutschlands beteiligten Armeen, als „Belgische Streitkräfte in Deutschland“ (BSD) gehörten die Truppen seit den 1950er Jahren zu den NATO-Truppen in der Bundesrepublik. Der 1994 lancierte Plan „Reforbel“ läutete nach der deutschen Einigung und einer Neuausrichtung der belgischen Armee nach dem Ende des Kalten Krieges das Ende dieser Militärpräsenz ein. …

Fortlaufend soll hier die „Drachentöterpose der Aufklärer“ ebenso „systematisch hinterfrag[t]“ werden wie der angeblich betont rückwärtsgewandte Erzkonservativismus ihrer Antipoden, will doch Fillafer die Positionen der Kontrahenten „häufig“ als „zwei Spielarten der Aufklärung“ hervortreten lassen (S. 517). Zu seinem eben illustrierten Stil wie seiner Methode gehört als spezielle Präsentationsform die Abfolge von Analysen und deren Resultate in fotoartiger Weise: Zoom – Weitwinkel – Panorama.
Referiert oben erwähnte These auf das Panorama der Aufklärung Europas, grenzt Fillafer seine vornehmliche Domäne auf Prozesse der hausgemachten Aufklärung in der Habsburgermonarchie ein. …

Es fehlt in der Geschichte des Holocaust nicht an Beispielen für den grenzenlosen Zynismus der Täter (weit überwiegend waren es Männer): Deportationen aus den Gettos und die damit einhergehenden lokalen Erschießungen von Kranken und anderen setzten sie mit Vorliebe an jüdischen Feiertagen an, sie verhöhnten ihre Opfer auf vielfältige Weise, fotografierten dies und sie gaben ihren Mordaktionen gerne zynische Tarnbezeichnungen. Die „Aktion Erntefest“, von der dieser Band von Steffen Hänschen und Andreas Kahrs handelt, ist hierfür ein Beispiel. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein bis heute kaum wahrgenommenes zweitägiges Massaker. Am 3. und 4. November 1943 erschossen deutsche SS-Männer und Polizisten mehr als 42.000 jüdische Männer und Frauen in den Lagern Majdanek, Poniatowa und Trawniki. …

Der Band „‚Entjudung’ von Theologie und Kirche. Das Eisenacher ‚Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben’ 1939–1945“ von Oliver Arnhold kann gleichsam als die Erweiterung und konzentrierte Pointierung seiner zweibändigen ausführlichen Darstellung „‚Entjudung’ – Kirche im Abgrund. Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928–1939 und das ‚Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben’ 1939–1945“ (2010) gelten. Die Zusammengehörigkeit beider Bände zeigt sich nicht zuletzt daran, dass im vorliegenden Band im Wesentlichen auf Fußnoten verzichtet und für Quellennachweise in Klammern auf die ältere Arbeit verwiesen wird. …

Die hier abgehandelten Großgewaltereignisse zwischen Österreich und Italien gelten in diesem Sammelwerk, da an deren Ende 1918 nicht abgegolten, als erster Teil zweier Weltkriege. Und was mit dem „Völkermanifest“ Kaiser Franz Josephs vom 23.5.1915 so personalistisch, fast privat anhebt: „Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt“, führt dazu, dass „zwischen dem Kriegsbeginn und dem Jahr 1919 in Italien und Europa Lichtjahre zu liegen schienen“ (S. 12). Über all dem Fact-Finding zu Bedingungen, Erscheinungsformen, Folgen dieses bilateralen Konflikts kreist, kaum direkt so benannt dennoch die Frage nach den Verantwortlichkeiten hierfür. …