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Israel, 7. Oktober - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Israel, 7. Oktober
Protokoll eines Anschlags

Das Buch der israelischen Journalistin und Theaterregisseurin Lee Yaron über den 7. Oktober ist weit mehr als ein „Protokoll eines Anschlags“, wie es im Untertitel heißt. Sicher ist es auch eine Chronik, die Yaron auf Grundlage von Gesprächen mit Überlebenden und anderen sowie von Telefonprotokollen, Kurznachrichten und vielem anderen mehr, erstellt hat. Es ist aber auch eine Art Yitzkor-Buch, das Erinnern und Gedenken in sich vereint. Es ist, wie Yaron schreibt, „eine Abwehr gegen Verzerrung, eine Abwehr gegen das Vergessen“ (S. 23) – beides setzte schon am 7. Oktober ein und setzt sich bis heute fort. Vielfach wurde gar nicht erst richtig hingesehen.

Yaron erzählt unter anderem die Geschichte der sechsjährigen Roni Suissa, die mit ihrer kleinen Schwester Lia das Massaker in der Kleinstadt Sderot überlebt. Als der Raketenalarm in den frühen Morgenstunden des 7. Oktober die Bevölkerung Israels warnt, beschließen die Eltern von Roni und Lia die Stadt wegen der Nähe zum Gazastreifen zu verlassen. Sie kommen nicht weit, Hamas-Terroristen ermorden die Eltern. Die Kinder werden gerettet und landen zunächst bei einer fremden Familie, bis sie schließlich zu Verwandten kommen können. Die hier nur spröde und unvollständig wiedergegebene Rekonstruktion von Ereignissen in Sderot zu Beginn des Buches gibt bereits darüber Aufschluss, was der 7. Oktober war – über die Brutalität der Hamas, die sich gegen alle richtete, gegen Kinder und auch gegen arabische Israelis; über das Chaos des Tages; über die Hilflosigkeit der Behörden und vor allem auch über den Mut und die Selbstlosigkeit Einzelner, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um anderen zu helfen.

Das Buch ist reich an diesen Geschichten, die meistens vieles zugleich sind, äußerst bedrückend und furchtbar, aber auch Lichtblicke der Menschlichkeit und anderes mehr enthalten. Meist jedoch überwiegt das brutale Grauen. So auch in der Geschichte eines Beduinen-Ehepaares, Triffy und Sujood Abu Karinat. Sujood ist hochschwanger und die Wehen setzen früh morgens am 7. Oktober ein, weswegen sie sich mit dem Auto auf dem Weg zum Krankenhaus machen. Sie werden von Terroristen gestoppt und beschossen, Sujood trifft ein Schuss in den Unterleib. Dennoch können sie das Krankenhaus erreichen. Sujood wird operiert, ihre Tochter per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Die Kugel der Terroristen hat den Fötus im Mutterleib getroffen. Vierzehn Stunden nach Geburt stirbt Sujoods und Triffys Tochter infolge der Schussverletzung. Dass der Schuss die Tochter traf, hat aber der Mutter das Leben gerettet.

Die Ereignisse, die Yaron schildert, sind furchtbar und am liebsten möchte man das Buch zur Seite legen und nicht mehr weiterlesen. Tatsächlich kann die Lektüre nur mit Unterbrechungen ertragen werden. Es ist aber wichtig, genau hinzusehen und zur Kenntnis zu nehmen, was an diesem Tag passiert ist, um verstehen zu können, was die Verbrechen jenes Tages für die israelische Gesellschaft bedeuten, und um zu begreifen, mit wem man es mit der Hamas zu tun hat. Und es ist wichtig hinzusehen, um nicht dem abstrakten Geschwätz und pseudointellektuellem Philosophieren von einem „bewaffneten Aufstand“ oder „Widerstand“ auf den Leim zu gehen. Denn man muss es leider hart und brutal sagen: Der Schuss in den Bauch einer Hochschwangeren, die Vergewaltigung einer Frau oder die Entführung des acht Monate alten Babys Kfir Bibas sind barbarische Verbrechen, die sich nicht zu Widerstand oder Ähnlichem umkontextualisieren lassen – zumindest nicht ohne moralischen Totalbankrott.

Das nahezu unermessliche Leid, das den Menschen am 7. Oktober zugefügt wurde, zu sehen und anzuerkennen, bedeutet nicht, sein Herz für den Schmerz jener Menschen im Gazastreifen verschließen zu müssen, die nichts mit dem Morden der Hamas-Terroristen und so mancher Zivilisten, die sich ihnen anschlossen, zu tun hatten. Yaron jedenfalls tut dies nicht, sie schreibt, dass es ihr „nicht zusteht, palästinensische Geschichten zu erzählen, vor allem nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich warte, in aller Demut, auf die Bücher meiner palästinensischen Kollegen, die sicher bald die Geschichte der Unschuldigen von Gaza erzählen werden, die als Folge der Reaktion meines Landes auf die Gewalttaten ihrer politischen Führer Leid und Tod erfuhren“ (S. 18 f.).

Viele der Kibbuzim und Ortschaften, die die Hamas und ihre Helfer angegriffen haben, standen mit ihren Bewohnerinnen und Bewohnern und mit ihrer Geschichte für einen Weg des Friedens und Ausgleichs mit den Palästinenserinnen und Palästinensern. Dort waren viele in Initiativen aktiv, die beispielsweise Kranke aus dem Gazastreifen in israelische Krankenhäuser brachten, die Spenden sammelten und sich politisch entsprechend engagierten. Dass ausgerechnet diese Orte zum Ziel der Hamas wurden, liegt nicht allein an der geografischen Nähe, es liegt auch an diesem Engagement, das allen Grundsätzen und Zielen der Hamas zuwiderläuft.

Lee Yarons Buch ist ein wichtiges Buch unserer Zeit, das dazu auffordert, einen Moment innezuhalten und hinzusehen, zuzuhören, was die Menschen am 7. Oktober durchgemacht haben. Es ist ein zutiefst menschliches Buch, in dem Yaron diesen Menschen breiten Raum gibt, ihre Geschichte zu erzählen, ihre Perspektive zur Geltung zu bringen.