Fast zeitgleich mit Andrea Löws großer Studie über deutschsprachige Jüdinnen und Juden im deutsch besetzten Osteuropa ist mit Walter Manoscheks Buch ein weiterer Beitrag zu diesem bislang vernachlässigten Thema erschienen. Sein Fokus liegt auf den österreichischen Jüdinnen und Juden im sogenannten Generalgouvernement, dem deutsch besetzten Zentralpolen, in den Jahren 1941/42, ist also enger und auf eine kleinere Gruppe von Menschen begrenzt. Der Untertitel darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Manoschek zeitlich früher ansetzt. Teil seiner Darstellung ist bereits die Verschleppung österreichischer Jüdinnen und Juden 1939 nach Nisko am San, seinerzeit Grenzfluss zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Teilungsgebiet Polens.
Der Fokus liegt gleichwohl und vollkommen zu Recht auf den Deportationen 1941 und 1942 in die Ghettos von Opole Lubelskie, dem Schwerpunkt des Buches, von Kielce, Izbica und weitere Ghettos vor allem im Südosten des Generalgouvernements. Manoschek kann bei seiner Schilderung aus dem Vollen schöpfen und die betroffenen Menschen mit ihren Erfahrungen, Hoffnungen und Ängsten zu Wort kommen lassen. Anschaulich zu machen, was Deportation, die Entwurzelung aus dem Zuhause und die Verschleppung in eine vollkommen fremde Umgebung, für die Menschen bedeutete, welche Handlungsmöglichkeiten sie hatten und wie sie diese nutzten, gehört zu den großen Stärken des Buches. Auch das soziale Gefüge vor Ort, die Konflikte innerhalb der Gruppe der Deportierten sowie ihr mitunter schwieriges Verhältnis zu einheimischen Jüdinnen und Juden sind wichtiger Teil der Untersuchung. Hierbei stützt er sich vor allem auf Briefe der Deportierten, die sie zahlreich an ihre Familien und andere daheim schickten und von denen erstaunlich viele erhalten sind, manche inzwischen auch publiziert.
Dies allein würde das Buch zu einem wertvollen Beitrag zur Holocaustforschung machen. Doch darüber hinaus lenkt Manoschek den Blick auf eine wichtige Phase und Region des Holocaust. Ab März 1942 deportierten die Deutschen und ihre Helfer die jüdische Bevölkerung der Region Lublin in das Vernichtungslager Belzec, wo die SS sie in den Gaskammern ermordete. Ein System von sogenannten Durchgangsghettos diente dabei der Täuschung der Opfer aus anderen Ländern. Die einheimischen Jüdinnen und Juden aus Izbica, Piaski und weiteren Ghettos wurden ermordet, um Platz für Deportierte aus dem Deutschen Reich oder der Slowakei zu schaffen, die einige Monate später wiederum deportiert und ermordet wurden.
An all dem ist Manoschek nah dran, ohne den Überblick über die ganzen Details zu verlieren oder den Leser orientierungslos in einem Panorama individuellen Leids zu lassen. Ein weiterer Vorzug des Buches besteht darin, dass die Täter dabei nicht verschwinden, vielmehr werden sie klar benannt und in ihrem Handeln gezeigt, wobei Manoschek hier wiederum einen besonderen Fokus auf die Österreicherinnen und Österreicher unter ihnen richtet.
Walter Manoschek hat ein wichtiges Buch geschrieben, das die Menschen als Akteure der Geschichte ernst nimmt und ihre Perspektiven, Handlungsmöglichkeiten, Gefühle und Gedanken – soweit die Quellen dies zulassen – in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. Was der Holocaust konkret bedeutete, dem lässt sich mit Walter Manoscheks Buch exemplarisch für die Gruppe der ins besetzte Polen deportierten österreichischen Jüdinnen und Juden eindrücklich näherkommen.