Verbrannte Dörfer
Nationalsozialistische Verbrechen an der ländlichen Bevölkerung in Polen und der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg

Über Jahrzehnte hinweg waren die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und Besatzer gegen die Zivilbevölkerung in Ostmitteleuropa kein Thema der Forschung, geschweige denn Gegenstand von Erinnerung und Gedenken. Beides musste in diesem Themenfeld mühsam und gegen erhebliche politische und gesellschaftliche Widerstände erkämpft werden. Und auch hier kamen wie schon in der Erforschung der Euthanasie-Verbrechen die entscheidenden Impulse von außerhalb der institutionalisierten Geschichtswissenschaft. Wenn es um die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in den besetzten sowjetischen Ländern geht, ist in erster Linie der Name des Journalisten Paul Kohl zu nennen, der bereits in den 1980er Jahren Zeitzeugen vor Ort befragte und in Publikationen, unter anderem in der „Schwarzen Reihe“ des Fischer Verlags, das Thema bearbeitete.

Dass sich an der Vernachlässigung dieses Themas einiges geändert hat, macht nicht zuletzt der Sammelband „Verbrannte Dörfer“ deutlich, der sich jedoch auch privatem Engagement verdankt, inhaltlich wie finanziell. Er wurde nicht nur von dem Verein KONTAKTE-KOНTAKTbI gefördert, manche der Beiträgerinnen und Beiträger sind überdies in dem gemeinnützigen Verein aktiv, der unter anderem Überlebende der deutschen Besatzungsherrschaft und des Holocaust in Osteuropa betreut und unterstützt.

Tatiana Tönsmeyer leitet den Band mit einem Überblickstext ein, in dem sie die Dynamiken von Gewalt und Ausbeutung sowie der Bewältigungsstrategien der Bevölkerung im ländlichen Raum in den Blick nimmt. Tönsmeyer plädiert dafür, stärker deren Dynamiken sichtbar zu machen und zu untersuchen, wofür nicht zuletzt auch die Perspektive der besetzten Bevölkerung integriert werden muss.

Diese Perspektiverweiterung, die in der Holocaustforschung mit dem inzwischen vielfach bemühten Schlagwort von der „integrierten Geschichte“ (Saul Friedländer) belegt wird, zeichnet eine ganze Reihe von Beiträgen des Buches aus – Johannes Spohrs eindrücklichen Überblick über die „Erfahrungen in der Zentralukraine“ ebenso wie Laura Eckls erhellende Nahsicht auf die Strategien der Bevölkerung Charkivs im Hungerwinter 1941/42 oder Irina Rebrovas Mikrostudie zur „Geschichte und Erinnerung der Bewohner:innen von Mihizeeva Poljana“ in Südrussland. Teils präsentieren die Autorinnen und Autoren neue Forschungsergebnisse, teils fassen sie andernorts ausführlich untersuchte Themen zusammen.

Alle Beiträge machen deutlich, dass der Krieg der deutschen Besatzer gegen die Zivilbevölkerung, der unter dem Vorwand einer „Bandenbekämpfung“ geführt wurde und in dessen Zuge tausende Dörfer niedergebrannt und zehntausende Menschen ermordet und noch mehr verschleppt wurden, eine gängige Gewaltpraxis war. Dahinter stand nicht ein irgendwie gewaltaufgeladener Raum, sondern klar benennbare Akteure aus Wehrmacht, Polizei, SS und anderen Formationen. Sie trugen die Gewalt in den Alltag der besetzten Bevölkerung und setzten die Besatzungsgesellschaften zusätzlich unter Druck. Es ist das besondere Verdienst der meisten hier versammelten Beiträge, beides zu leisten – die Verantwortlichkeiten der deutschen Täter klar zu benennen und zu untersuchen und die Perspektive der Zivilbevölkerung und ihre Handlungsmacht (und -ohnmacht) in die Untersuchung einzubeziehen; nicht als schmückendes illustratives Beiwerk, sondern als konstitutives Element der komplexen Beziehungsgeflechte und Handlungsdynamiken in den jeweiligen besetzten Gebieten. Diese Perspektiverweiterung steht immer noch am Anfang, mit diesem Band aber ist ein bedeutender Schritt nach vorne gemacht worden.