Zeitenwende 1979
Als die Welt von heute begann

Die Namen aus der großen Politik, von Gruppen, Ereignissen kapitaler Havarien und Umstürze, ja der einer Fernsehserie, so wie sie in den Überschriften der zehn Kapitel aufscheinen, führen weniger zur Hauptsache vorliegender Präsentation(sweise) als jene Begriffe und deren weitere Untertitelung: mit Schlagwörtern (‚Islam‘, ‚Kirche‘, Solidarität‘, ‚Flüchtlinge‘, Neoliberalismus‘, ‚Ökologie‘, ‚Ölkrise‘, ‚AKW‘, ‚globale Abhängigkeit‘, ‚Erinnerungskultur‘) sind die Problemfelder benannt, womit die Menschen von heute befasst, ja umgriffen sind, als Dauerbrennerthemen. Gerade weil der Autor beinahe ein Schulbeispiel für intrikate Bezüge und Verhältnisse analytisch unterbreitet, bietet er im Resultat Orientierung. Thesenhaft legt er sich dabei fest, indem er mit 1979 als Initiationsjahr beginnen (Untertitel) lässt, was vielen aktuell geläufig, worin - seither - viele, ob gewollt oder nicht, geübt.

1979 – ein Schlüsseljahr, auf das Entwicklungsphänomene zulaufen, von da eminent abheben und sich wirkmächtig in die Gegenwart fortsetzen. Mehr meint besagte ‚Wende‘ nicht, aber auch nicht weniger. Nicht ein elementarer Bruch wird fixiert, sondern nüchtern konstatiert, dass die „Welt in den späten 1970er-Jahren auch rein physisch in eine intensivere Bewegung [geriet]“ (S. 399). Was eng entlang von Quellen dargelegt wird, die Faktendichte, enthüllt nicht mühelos, worum es grosso modo geht. In Fragen aufgeschlüsselt, wäre das: Was bewegte 1979 die Menschen? Was geriet in Bewegung? Welche Vorgeschichte bewog (sie) dazu?  Was versuchte und glaubte man (hierauf) in Bewegung setzen zu sollen oder zu müssen? Was davon blieb bloße Absicht, bewegte sich gar in eine andere Richtung?

Leitmotivisch durchzieht die Arbeit die deutsche Perspektive; darin die DDR und BRD gleichgewichtig zweigedacht, korrelativ. Bösch holt so Mängel der landläufigen Zeitgeschichtsforschung nach. Was die Mischung aus eher ungewohnten Quellen (geheime Botschaftskorrespondenzen; Stimmen der grassierenden formellen wie informellen Entwicklungshilfe, einer Öffentlichkeit ‚von unten‘) hergeben, spricht für die nachgezeichnete Entwicklung selbst. So nimmt etwa die bis heute nachwirkende „doppelte Diskreditierung der Atomkraft und des Öls“ (S. 331), durchaus nicht unbedingt aufgrund von Knappheit, Fahrt auf; Öl wird generell als „umkämpfte[r] Rohstoff“ (S. 330) zur Manövriermasse multipler sozial- und machtpolitischer Strategien.

Die hier erörterten strukturellen Allianzen von Neoliberalismus und den Grünen mögen manchen unliebsam sein, dennoch ergeben sie sich daraus, dass beide, scheinbar gegenläufig aktive Strömungen, für Einschränkungen plädieren (vgl. S. 301). Überhaupt führt „die erfolgreiche europaweite Formierung der Grünen“ zu basalen Modifikationen „parteipolitische[r] Frontlinien“ (S. 353). So weist die beibehaltene Referenz auf Deutschland die Staatsführung der (an Exporten ausgerichteten) BRD als außenpolitisch bevorzugt multiorientiert aus, zu Lasten einer energischen Durchsetzung von (durchaus eingemahnten) Menschenrechten. Die „desaströse Sicherheitslage“ der Atomkraftwerke in der DDR 1990 wirkte sich beispielsweise als segensreich aus, als „Vorläufer für den Atomausstieg im Westen“ (S. 350).

Kontingenzen beherrschen die weltumspannenden Flächen akuter Problemkonstellationen. Demonstriert wird hier „die prägende Kraft von Ereignissen“ (S. 361), welche Volten bei den Wahrnehmungen und Einschätzungen hervorrufen. Merklich dominiert Unabsehbarkeit. Wörter wie „trotz“ (S. 332) und „aber“ (S. 398) signifizieren dann die Gegenläufigkeit von programmatischen Absichten, die sich als „Fehlannahmen“ (S. 330) entpuppen. Oft bleibt der politische „Kurs in der Schwebe“, im Zuge dessen „[förderten] der hohe Handlungsdruck und die Ungewissheit über den weiteren Verlauf schließlich Veränderungen“ (S. 398). Das Führungspersonal, selbst oft zufällig in diese Position gelangt (etwa Margaret Thatcher, Papst Johannes Paul II.), ist auf Experimente und Provisorien verwiesen. Die Umbrüche rufen „neue Experten und Wissensbestände“ notwendig auf den Plan (S. 400). Dergestalt, wird hier der Aufriss mannigfaltiger Konstellationen von sich überschneidenden Zwangslagen geboten, zusehends als  einschnürendes Syndrom, der ‚Alternativlosigkeit‘, wahrgenommen.

Die große Politik zeigt sich dabei permanent „zum Handeln angetrieben“, wohl auch hörig der „Bevölkerung“, einer auch „grenzübergreifende[n] Dynamik von unten“ (S. 401/402). Einen ‚Vektor der Geschichte‘ führt Bösch ad absurdum. Generell vergleicht er den „Verlauf von Geschichte“ mit „breiten Flüssen“, und in dem gewählten Zeitraum „wandelte sich [sowohl das Flussdelta] als auch die Beobachtung, Bewertung und Lenkung der Ströme“ (S. 396).

Der Autor enträt völlig modischer Begriffe wie: Postmoderne, (De-)Konstruktivismus, Globalisierung, Beschleunigung, Globalgeschichte explizit (vgl. S. 16). Eher betätigt er sich als Fährtensucher, als Scout. Man kann ihn begleiten. Einen Rat gibt er nicht. Wer aber erkennt, sich selbst Rat zu schaffen bei der Bewertung dieser Jahre (als Tangenten zu ‚Neuralgien‘ in der Gegenwart), ist ihm gefolgt.