Das Unsagbare erzählen
Sexuelle Gewalt in Ungarn im Zweiten Weltkrieg

Schon länger „trendete“ (S. 214) das Forschungsthema sexualisierter Kriegsgewalt; auf Ungarn bezogen kommt es spät. Tatsächlich bildet der ungarische Kontext das Zentrum, auch wenn die Autorin vornehmlich Gewalt gegen Frauen in ihren globalen Dimensionen gebührend erweitert. Petö packt das Leid vergewaltigter Frauen an der Wurzel, danach trachtend, ihnen eine Last abzunehmen. Diese glauben nämlich, das erlittene Schicksal „immer als persönliches Erlebnis“ tragen zu müssen, weil sie es „nie in eine[n] größeren Rahmen“ (S. 134) stellen können.

Dazu holt die Autorin weit aus. Nach Erklärungen zu ihrer Theorie und Methode handelt sie in vier Kapiteln den weiten, stets von ungarischem Boden ausgehenden Umkreis ab. Im Ergebnis ist es eine geschichtliche Skizze von Kriegsvergewaltigungen, den sozialethischen Folgen, diesbezüglichen Gedächtnisleistungen und, vor allem, wie das Schweigen gebrochen wird. In ihren Radien sind vier Bezugsbereiche auszumachen: 1. zur ungarischen Konstellation; 2. zur ‚Roten Armee‘; 3. allgemein zur Erinnerungspolitik sowie 4. maskuline Gewalt überhaupt, samt Militarismus als deren Pflanzstätte im Besonderen.

  1. Mit der ‚Zweiten feministischen Welle‘ Ende der 60er-Jahre setzte das Thema ‚Kriegsgewalt‘ ein; fortgeführt durch die Forschung zum Kolonialismus, dann zu den Jugoslawienkriegen der 90er-Jahre. In Ungarn verzögerte sich der Prozess. Hier wollte die „mit dem antifaschistischen, linken Diskurs“ verknüpfte Frauenbewegung einem Antikommunismus als „Grundideologie der politischen Rechte[n]“ (S. 33) nicht zuarbeiten. Zu dieser Art Hemmung gesellte sich das Schweigegebot in der Nachkriegsperiode, widrigenfalls man als „Opfer in der moralischen Gemeinschaft marginalisiert“ (S. 149) wurde. Petö: „Die uneingeschränkte Loyalität der Frauen den Männern gegenüber verhinderte, dass sie das Erlebnis innerlich verarbeiteten.“ (S. 133) – Für diesen hohen Preis war auch der Strategie der Besatzer, den sozialen Zusammenhalt zu zersetzen, Grenzen gesetzt. Ab 1989 tauschten in Ungarn die vorher ‚heiße‘ „Erinnerung des Nazismus“ und die ‚kalte‘ an die „Gräueltaten des Kommunismus“ (S. 16) die Plätze.
  2. Erst Anfang der 90er-Jahre verließen die letzten Verbände der nun nicht mehr Sowjetunion Ungarn. – Die „durch Rotarmisten verübte sexuelle Gewalt“ (S. 25) wird hier ‚transnational‘ analysiert. Dabei ist von der „imperiale[n] Beschaffenheit der Roten Armee“ (S. 29), der „imperialen Arroganz der Sowjets“ die Rede, die nach ihrem Kampf gegen den Faschismus angeblich „das Gute vertrat[en]“ (S. 175). Den Konnex zwischen der Ideologie des Kommunismus und totalitärer Gewaltherrschaft stellt die Autorin auffällig nicht explizit her. Wohl aber geraten für sie die „Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg in die Geiselhaft der Debatten über den Stalinismus“ (S. 208). Die „Ausübung sexueller soldatischer Gewalt“ ist für Petö das pädagogische Ziel der Roten Armee ganz generell; angefangen bei den „brutal einfache[n]“ Sprachregelungen schon in den Straflagern (Gulag). (S. 200)
  3. Petö konstatiert den Geltungsstreit um die gemäße, passende historische Version in Osteuropa. Gemeint ist die „Orientalisierung des Gegenübers, der Sowjets“. Mithilfe der Version von deren „barbarischer Unzivilisiertheit“ würden diese Gesellschaften sich von der bislang akzeptierten Geschichtssicht zu distanzieren trachten. (S. 66) Im Fall von Kriegsvergewaltigungen plädiert Petö nicht für eine „intentionalistische Deutung“, eine ethnisierende, sondern eine „strukturelle“ (S. 26). Eine „supranationale“ (S. 90) Deutung aber würde für sie die Vorgänge völlig aus dem Rahmen der Kulturformationen herauslösen.
  4. Kulturübergreifend, transnational ist hingegen ihr lauter Appell, den eminenten Faktor des Militarismus bei der Erziehung von Männlichkeit zur Gewaltneigung gegenüber Frauen im „archaisch-patriarchalen bzw. im ideologisch-nationalen Rahmen“ zu beobachten (S. 79, 83). Dem Schweigen der vergewaltigenden Männer hat sie sich nur ansatzweise annehmen wollen (vgl. S. 201). In Durchführung und Anspruch ist der dem Werk innewohnende Takt besonders zu würdigen; nämlich trotz der heiklen Thematik die Diskretion besonders jenen Frauen gegenüber, die nicht mehr „zu Wort kommen“ können bezüglich dem was sie „am eigenen Körper erlebt und ausgestanden hatten“ (S. 146). Beredt zu werden darüber, kommt (bedauerlicher Weise) stets zu rechten Zeit.