Mit zentraler Peilung auf die beiden Werften in Gdynia (Polen) und Pula (Kroatien) birgt die aus einem Forschungsprojekt (2016-2021) hervorgegangene, wahrhaft dichte Faktenpräsentation des erklärten ‚Werftenkollektivs‘ Erkenntnisse, die es, dem Team nach, aufgrund der Lage von Archivbeständen, Quellenverfügbarkeit aus Interviews, aktueller politischer Rahmenbedingungen gerade eben noch zu bergen galt: dergestalt ein „Zeitdokument“ (S. 71). Das Globale so detailreich „im Lokalen zu suchen“ (S. 62), veranlasst „empirische Tiefenbohrungen“ (S. 63). Hervorgehen sollen daraus „die Veränderungen in den Sinnwelten sozialer Gruppen“ (S. 23), jene „‚Transformations from Below‘“ im Zuge weltumspannender Transformationen (S. 23).
Die „‚monographische Multografie‘“ (S. 72) des soziologisch-sozialanthropologisch-historischen Forscherteams gliedert seine Kapitel in solche zur Methode, zu den jeweiligen, vornehmlich vergleichenden Betriebsgeschichten besagter Werften, Interventionen der betreffenden Staaten, den betriebsspezifischen Gemeinschaftsbildungen. Der Schlussteil zur ‚Zukunft des Schiffsbaus in der EU‘ bleibt, thematisch kohärent, ohne jede Prognose.
Welche Faktoren präferieren, privilegieren die ‚Stocznia Gdynia‘ sowie die ‚Uljanik‘ in Pula - als ‚Vorzeigewerften‘? Deren Produkte, die Schiffe, sind „immerhin der größte von Menschenhand hergestellte mobile Gegenstand“ (S. 55); zudem ‚haltbarer‘ als konkrete Prognosen (vgl. S. 334). Exemplarisch der Umstand: „Das wirtschaftliche Scheitern des sozialistischen Jugoslawiens und der Volksrepublik Polen lag also auch an ihren Werften und zeichnete sich dort besonders ab“ (S. 43). Während die westlichen Ökonomien ab den 70er-Jahren mehr auf Dienstleistungen und Informationstechnologie setzten, gestaltete sich beim Beharren auf der Schwerindustrie in Polen und Kroatien die Transformation mithilfe „Durchwursteln[s]“ (vgl. S. 17, 82). Die beiden Werften eignen sich somit als „exzellente Sonde für die wichtigsten tektonischen Verschiebungen in der Zeit nach 1989 bzw. 1991“ (S. 62). Der Konnex zwischen dem Kollaps der kommunistischen Regime und staatlicher Insolvenz mit Totalverschuldung wird hier in eher wenig gekannter Weise ausgewickelt (vgl. S. 115).
Was die sozialökonomische Schadensabwicklung betrifft, stellt das Team die „Meistererzählung der Durchprivatisierung ganzer Gesellschaften, der rücksichtlosen Schocktherapie und der Deklassierung der Arbeiterklasse“ (S. 158) in Abrede. Der Staat mischte gehörig mit bei der „Vielfalt der Entwicklungspfade“ (S. 160); allein, weil Personal nicht einfach abgebaut werden konnte (vgl. S. 97) und im Schiffsbau die „Dominanz der Wettbewerbspolitik […] deren Grenzen idealtypisch [verdeutlicht]“ (S. 141). „Die volkseigene Werft in Gdynia stand dem selbstverwalteten Unternehmen in Pula in puncto Multifunktionalität in nichts nach“ (S. 226), heißt es im Abschnitt ‚Gemeinschaftsbildung‘.
Als deren Funktionen werden benannt: die Kombination von Arbeitsproduktion und „Werte[n] der Gemeinschaftlichkeit und Solidarität“ (S. 241); das Walten sowohl einer „moralische[n] Ökonomie“ (S. 244) genauso wie „systematische Verantwortungslosigkeit“ (S. 236) (u.a. einer in seiner „Scheinheiligkeit“ erkannten kommunistischen Ideologie geschuldet; S. 268). „Beide Werften bewahrten erstaunlich lange Überreste ihrer betrieblichen Wohlfahrts- und Kulturinfrastruktur aus sozialistischer Zeit“ (S. 256). Entsprechend wurde (und wird retrospektiv) der „Verlust dieses Mikrosozialismus“ nach 1989 betrauert (S. 248).
Von einem völligen sozialen Missraten ist hier gewiss nicht die Rede. Im Gegenteil: bei einem nach wie vor sehr dominanten Faktor Industrie in den beiden gegenständlichen Staaten, wird im „real existierenden Kapitalismus [beklagt,] weniger Gestaltungsspielräume zu haben“ (S. 315). Da aktuell „manche Tiefenstrukturen noch gar nicht erkenn[bar]“ (S. 322) seien, hält sich bezüglich der Zukunft das Team bedeckt. Nicht aber, was die gewünschte Rolle der EU betrifft: beispielgebend, sollten die von routinierter „Mimikry“ (S. 329) getragenen Prozeduren zur Transformation bei den beiden Werften davon überzeugen, „die [übermäßige; P.R.K.] Rolle eines innereuropäischen Wettbewerbshüters“ (S. 75), so der Vorwurf an die EU, zu hinterfragen.
‚Das Werftenkollektiv‘ hat sich wissenschaftlich und empathisch in die Werftbelegschaft von ehedem versetzt. Vermutlich nicht ohne Hoffnung, dass bei den folgenden ‚Stürmen der Transformation‘ sich etwas durchhält von der hier charakterisierten ‚betrieblichen Wohlfahrts- und Kulturinfrastruktur‘.
Ein nachvollziehbares Lehrbeispiel.