Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg
Austria-Ungheria e Italia nella Grande Guerra

Die hier abgehandelten Großgewaltereignisse zwischen Österreich und Italien gelten in diesem Sammelwerk, da an deren Ende 1918 nicht abgegolten, als erster Teil zweier Weltkriege. Und was mit dem „Völkermanifest“ Kaiser Franz Josephs vom 23.5.1915 so personalistisch, fast privat anhebt: „Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt“, führt dazu, dass „zwischen dem Kriegsbeginn und dem Jahr 1919 in Italien und Europa Lichtjahre zu liegen schienen“ (S. 12). Über all dem Fact-Finding zu Bedingungen, Erscheinungsformen, Folgen dieses bilateralen Konflikts kreist, kaum direkt so benannt dennoch die Frage nach den Verantwortlichkeiten hierfür.

Hauptsächlich werden Eliten, politische Entscheidungsträger sowie maßgebliche Exponenten der Literatur als Quellen bemüht. Zudem werden visuelle Quellen zur Eigeninterpretation, Skizzen zum Stand der Forschung sowie zu musealen Präsentationen geboten. Es sind Zugänge der Diplomatie-, Militär-, Zeitgeschichte und Literaturwissenschaft. Ausdrücklich soll „nicht auf eine konsolidierte Historiographie“ zurückgegriffen, die Darstellungen nicht gleichsam „‘Rücken an Rücken‘ betrieben“ (S. 15/16) werden. Trotzdem löst sich das Kollektiv der Beiträger:innen nicht durchgängig vom Bannkreis des Geflechts von Korrelationen bezüglich kriegerischer Motivlagen betreffender Staaten; nämlich spiegelverkehrte und spiegelgleiche Korrelationen:

Während Italien sich in der Phase des „nation and state building“ (zur Überwindung des kleinen Italiens, „Italienetta“; vgl. S. 112) befindet, ist Österreich-Ungarn in der des „nations[sic!] and state conserving“ (zur Statuswahrung als mittlere Großmacht); bestehender Besitz auf der einen und diesbezügliche Ansprüche Italiens auf Gebiete der östlichen Adria, Triest mit Küstenland, Trient, Tirol bis zum Brenner schließen einander aus (spiegelverkehrt). – Territorialgewinne sowie deren Bewahrung suchen beide Führungen auch ohne Krieg durchzusetzen, woraus unter anderem der wechselseitige Vorwurf einer diffusen Schaukelpolitik resultiert (spiegelgleich).

Eine „ganzheitliche Sichtweise“ (S. 16) fördert, wenn bereits in der Anlage der Analyse den ehemaligen Kontrahenten Konzessionen eingeräumt werden; hier als Kritik der eigenen Kulturformation vorgeführt. Wenn etwa im Beitrag von F. Minniti der Fluss Piave mutiert, zum Grenzfluss von Verteidigern, die auf diese Weise den (somit eingestandenen) moralischen Makel des zu Beginn offensiven Italiens abzuschütteln suchen. Exemplarisch zeigt sich die Differenz zwischen einer konsolidierten Darbietung und einer mit Konzessionen, wo im einen Fall in der Analyse mithilfe diplomatischer Quellen das Friedenspotential zwar sondiert, jedoch als illusionär oder unrealistisch ausgeschlossen wird, im anderen Fall der Analyseschwerpunkt auf den nicht ausgeschöpften Möglichkeiten einer Friedenswahrung liegt: Im ersten Fall versiegelt L. Höbelt geradezu die Version, den Kriegsfall 1915 von vornherein für besiegelt zu erklären, im zweiten betont U. Harmat mit ihren diplomatischen Quellen das Wohlwollen der USA gegenüber der Doppelmonarchie, das Ende 1917 verspielt wurde, da Letztere nicht „‘seriously sought a seperate peace‘“(S. 246).

Die kommentierten, interpretierten Material- und Faktenaufbereitungen warten förmlich darauf, aufeinander bezogen zu werden: Besonders aufschlussreich sind die Besprechungen von fünf Schriftstellern, alles Abreaktionen des Krieges aus der Teilnehmerperspektive. Im Vergleich stellen diese sich als Abhandlungen (Robert Musil, Ardengo Soffici), Abrechnungen (Curzio Malaparte) und Abbitten (Emilio Lusso) bezüglich ihrer Erlebnisse dar. Gabriele D’Annunzio wird dabei zum populären Stichwortgeber des Nachkriegs: Dessen Metapher von der „Verstümmelung“ („La vittoria mutilata“) findet sich etwas modifiziert auch bei Soffici („‘ […] wie ein Teil meines Leibes, der zerstückelt wird““; S. 412), Lussu („‘Und schließlich bricht mir das Herz‘“; S. 437) und Musil („‘ […] die Welt und Denken [1914; P.R.K.] so zerriß, daß sie bis heute nicht geflickt werden konnten‘“; S. 374). Übereinstimmend wird eine Ruptur registriert. Die heute fast humorig, ja platt anmutenden Kriegspostkarten zur Propaganda, damals „bar jeder Deutungsoffenheit“ (S. 290), fordern zur eigenen Inspektion auf, dass und wie „Feinde“ erzeugt werden.

Dem Kollektiv von Beiträger:innen entströmt Teamgeist, es lässt aber nicht markant erkennen, dass, wie A. Brait bedauert, „konträre Positionen ein und desselben Ereignisses überwunden“ (S. 482) sind; etwa durch eine transnationale Synthese, die eine engagierte Neutralitätssicht befördern würde.