Fortlaufend soll hier die „Drachentöterpose der Aufklärer“ ebenso „systematisch hinterfrag[t]“ werden wie der angeblich betont rückwärtsgewandte Erzkonservativismus ihrer Antipoden, will doch Fillafer die Positionen der Kontrahenten „häufig“ als „zwei Spielarten der Aufklärung“ hervortreten lassen (S. 517). Zu seinem eben illustrierten Stil wie seiner Methode gehört als spezielle Präsentationsform die Abfolge von Analysen und deren Resultate in fotoartiger Weise: Zoom – Weitwinkel – Panorama.
Referiert oben erwähnte These auf das Panorama der Aufklärung Europas, grenzt Fillafer seine vornehmliche Domäne auf Prozesse der hausgemachten Aufklärung in der Habsburgermonarchie ein. Letztere präsentiert sich allerdings als gehörig weitgespannt und verästelt, macht eine aufwändige, akribische Analyse nötig, bis er schließlich auf Basis seiner belegten Argumente folgert: „Nicht das Empire pfropfte den habsburgischen Ländern die Aufklärung auf, die Aufklärer formten das Empire. So gestalteten sie seine Herrschaftslogik und sein Wissensregime, seine Rechtskultur und sein Sozialgefüge.“ (S. 518) Mit einer Verschränkung von Bereichen und Fächern wie „Patriotismus“, „Religion“, „Bibelhermeneutik“, „Naturforschung“, „Ökonomie“, „Rechtsgeschichte“ gelingt es ihm schließlich zu urteilen: Mehr denn unter der Despotie als den Geboten der gesamthaften Veränderungen während des Beobachtungszeitraums, sei es zur Wahrung gesamtstaatlicher, elitärer, privat-persönlicher Interessen gekommen.
Fillafer möchte neuartige Wege gehen. Die „gründliche Überarbeitung“ (S. 193) geläufiger Darstellungen verfolgt er mit „Abzweigungen, Schleichwege[n]und Nebenpfade[n]“ (S. 83), welche übliche „Sortierraster aufbrechen“ (S. 496) sollen. Priorität hat für ihn die (Hervor)Hebung der eigentlichen „Tiefenwirkung“ von Praktiken und Denkformen seines Personals, die er einem „neuen Analyseraster“ (S. 123) unterzieht. Sich gleichsam in die Krypta theoretischer wie praktischer Phänomene zu begeben, erfordert ein hohes Maß an Benennungskapazität, das der Autor allein schon durch die Verwendung einer stupenden Zahl plurilingualer Primär- und Sekundärquellen beweist.
Der Gewinn dabei ist die Scheidung des in Geltung befindlichen, erlaubten Scheins von der zwar verpönten, jedoch tatsächlichen Entwicklung; für Fillafer ist dies nötig, da ab 1800 „Begriffe wie ‚Aufklärung‘ und ‚Reaktion‘ nach einem Zufallsschlüssel verteilt“ (S. 363/364) werden. Trotzig halten sich demnach revolutionäre Ideologeme, gleichsam „unterhalb“ der Konventionen, während „reaktionäre“, vorrevolutionär religiös fundierte Naturerkenntnisse, als rein säkular ausgegeben, de facto während des Vormärz „die technischen, sozio-ökonomischen und industriellen Fortschritte“ durch Liberale zu „Resultate[n] der altehrwürdigen göttlichen Ordnung“ (S. 253) umgemünzt werden.
Modellierungen finden ebenso im Bereich der Herrschaftslegitimierung statt: Gereichte zum Zusammenhalt der Gesamtmonarchie ein naturrechtlicher gemeinsamer „Urkontrakt“ aller zum scheinbaren Vorteil, greift eine „Privatisierung und [somit; P.R.K.] Entpolitisierung des Naturrechts“ (S. 382) Platz. Auf diese Weise wird hier eine kulturelle Konjunktur von Selbstmissverständnissen, Widersprüchen, Unterschlagungen von theoretischen Anleihen, Camouflagen, ja auch reflektierten subversiven Revolutionsgebarungen offengelegt; alles im Dienst von Revolutionsabwehr. All dies mit „Ambivalenz“ zu charakterisieren, trifft die Sache nur unzureichend. – Eher schon, dass die Linke so mancher erörterten Protagonisten nicht recht wusste was die Rechte tut. Fillafer bemüht jedenfalls die kultursoziologische Erkenntnis der sich „hinter dem Rücken“ der Menschen vollziehenden Prozesse.
Im Zoom Fillafers sollte das „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch“ (ABGB) von 1811 seinem Begründer (Zeiller) nach ostentativ als „Bollwerk gegen die Revolution“ fungieren, „begründete“ jedoch „zugleich das Recht aus sich selbst“, und „kappte“ somit „die Herleitung der Gesetze von Gott und vom Monarchen“ (S. 507). – Im Weitwinkel des Verfassers besehen entbehrte oftmals „kritisch-innovatives Denken“ einen „Radikalismus“, vielmehr „gedieh es unter den Vorzeichen der Apologetik und Loyalität gegenüber dem Monarchen“ (S. 523). Insgesamt „vollzog die Restauration“ die „Kräfteverschiebungen der Revolutionsepoche mit-und schuf auf diese Weise den realen Nährboden für jenen Liberalismus, den sie im idealen Diskurs als westeuropäischen Fremdkörper dämonisierte“ (S. 527). Der besonders dem „damals erwünschten Distinktionsgewinn gegenüber dem größeren Deutschland“ ins Treffen geführte „Antiidealismus“ (S. 250) setzte sich genauso wenig durch wie die „Selbstprovinzialisierung des antirevolutionären Katholizismus“ (S. 122).
Dem Modus ablaufender Nachweisführung zu folgen, fordert der Leserschaft einiges ab. Dazu ein veranschaulichender Vergleich: Fillafer befasst sich mit „Synapsen“ kognitiver manifester, sich manifestierender Systeme, „Kapillare“ einander korrespondierender Organisationsformen des Denkens sowie deren Institutionen. Dabei demonstriert er förmlich die genuinen Leistungen der Kulturwissenschaft als Dachdisziplin, so wie auch deren Methoden einer Befassung mit der politischen Kultur der „casa Austriae“ auch bestens entspricht. Übrigens ein „Haus Österreich“, das unter dem konkurrierenden Modell Frankreichs innerhalb von Fillafers Beobachtungszeitraums zum „Kaisertum Österreich“ zu mutieren geruhte.