Aufgrund ihrer Befassung mit Gedächtniskultur, wie auch der des Vergessens, gilt die akademische Philologin im gängigen Diskurs über Erinnerung als mittlerweile anerkannt arriviert, eingeklinkt. Und mit ihrem Befund, formuliert im Untertitel als die Unterstellung einer Spannung zwischen Angst und Bedarf rücksichtlich des Komplexes „Nation“ in Deutschland, wähnt sie sich wohl aus Betroffenheit wie ihrem Vermögen nach auf den Plan gerufen.
Tatsächlich haftet im mehrfachen Sinn der „Nation“ eine Art deutscher „Komplex“ an, schon wenn sie eine große Kluft „zwischen dem allgemeinen Wissensstand akademischer Forschung“ und „dem gesellschaftlich akzeptierten Narrativ im Bewusstsein einer Nation“ (S. 276) konstatiert. Freilich ein in Deutschland nicht erstaunlicher Gegensatz, lässt sich die Historiographie zu „Deutschem“ auf weiten Strecken auch als eine Art „Schwarzbuch“ ausnehmen. Assmann problematisiert, dass das geeinte Deutschland sich „verneint“; Abhilfe schaffen würde die Erzielung einer Balance der wechselseitig in fataler Weise zuarbeitenden Antipoden: „Entweder gibt es zu wenig oder zu viel nationale Identität, eine Unausgewogenheit, die sich gegenseitig verstärkt. Besser wäre der Ausgleich, indem die, die zu viel davon haben, reduzieren und die, die nichts oder wenig davon haben, zulegen.“ (S. 261)
Adressiert ist ihre Prätention, „die eigenen nationalen Narrative zu durchleuchten, zu verändern und zu erweitern“ (S. 304), vorzugsweise an die Letztgenannten, den bislang Beförderern einer „Tabuisierung der Nation“. Ihr Angebot zu überzeugen mit ihrer Utopie eines „positive[n] normative[n] Modell[s] für eine ethnisch diverse Nation“ rechnet gar nicht mit den Antipoden, jenen, bliebe der Erfolg einer gemeinsamen „Wiedererfindung der Nation“ aus, als „Neonazis bereits gewonnen“ hätten (S. 283).
Unter bedrohlichen Auspizien also profiliert Assmann ihre Position mithilfe neuralgischer Themen, zum Zweck einer Art Rekonvaleszenz angekränkelten Nationalverständnisses. Dazu zieht sie Unterstützer heran. So ist das Konzept: „Nation als Solidaritätsgenerator“ (S. 303) wesentlich auch das ihre. Und eins mit dem Bundespräsidenten, der die Wandlung „der deutschen Nation in den letzten drei Generationen von einem Gefährder in einen Förderer des Weltfriedens“ (S. 208) hervorhebt, trachtet sie nationsbildendes Selbstvertrauen zu wecken.
Die wohl, auch vom Ausland unbestrittenen Leistungen der „deutschen Nation“ könnten die reflexartige Frage aufwerfen, weshalb diese für ein selbstbewusstes Nationalverständnis nicht ausreichen. Sicher liegt die Antwort auch im Preis, der für diese Meriten abzugelten ist. Genau diesen Preis möchte Assmann vermindern, wenn sie das Auseinanderdriften der „vereinten Deutschen“ (S. 253), „die Entstehung von Parallelgesellschaften“ (S. 284) durch Migration hintertreiben möchte. Ihr Rezept ist dabei regelmäßig eine „Solidarität mit“, eine inklusive, die „Differenzen aushält, wertschätzt und aufrechterhält“ (S. 303). Verständlicher Weise setzt sie dabei auf überschaubare Räume, persönliche Kenntnis voneinander, „Nachbarschaft“, dort wo „Heimat performativ“ gestaltet wird. Offenbar soll die Rekreation der Nation aus der Praxis von Heimat stattfinden: „Alles, was in dem Wort Heimat steckt, entscheidet sich am Schluss vor Ort. Dort ist Heimat immer im Umbau.“ (S. 288) Spätestens bei solch Überführung der Kategorie „Nation“ in eine der „Heimat“ erhärtet sich der Verdacht, dass die Autoren eine Suchbewegung abrollen lässt, in der Form eines elaborierten Vademekums.
Eindeutig ist Assmann in ihrem Plädoyer für eine soziale Kohäsion, die aus und durch Gegensätze, Diversität entstehen soll und besteht, nicht aus einer Verschmelzung oder gar Verklumpung sich vereinheitlichter Massen. Um überzeugen zu können, sollte günstiger Weise der fundamentale Unterschied erkannt werden, der zwischen einer zusammengewachsenen Einheit, einem Ganzen, und einem zugleich und miteinander Wachsens, einem Ranken, idealer Weise „nach oben“, besteht, wenn es zum Schluss des Buches hoffnungsvoll heißt: „Zukunft“ für eine „Bevölkerung“, „nicht, um zusammenzuwachsen, sondern um zusammen zu wachsen“ (S. 313).
Womöglich gibt Assmann gerade durch die Spezifik ihres kulturessayistischen Stils und Inhalts (lediglich) den (letzten) Ausschlag für die von ihrer Argumentation (zumindest) Überzeugbaren; unter der Bedachtnahme, dass Verständnis ein Verstehen voraussetzt.