Die Ehemaligen
Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ

Als „quellenbasierte und umfassende Studie zur Vor- und Frühgeschichte der FPÖ“ (= Freiheitliche Partei Österreichs; S. 9) liegt nun eine Novität vor. Nach der Autorin „finden sich im VdU [= Verband der Unabhängigen] (und später auch in der FPÖ) durchaus viele ehemaligen Nationalsozialisten, die sowohl ihrer Funktion und Tätigkeit in der NS-Zeit als auch ihrer Gesinnung nach als ‚belastet‘ einzustufen sind“ (S. 126).

Es will „ein historisches Buch“ sein, und trotzdem „strukturelle Ähnlichkeiten sowie personelle und ideologische Kontinuitäten entdecken“ lassen; „die Wirksamkeit und Langlebigkeit rechten Gedankenguts über die Generationen hinweg anschaulich vor Augen führen“ (S. 16). Anhand von Nachlässen, Selbstzeugnissen, Redebeiträgen, Parteiprogrammen und Parteipresseartikel rollt hier die Institutionengeschichte zweier wahlwerbender Gruppierungen ab, in der Gründungsphase durch deren Proponenten, dann Exponenten. Alles in der Phase der erneuten Staatsbildungsversuche eines (noch) nicht souveränen, da besetzten Territoriums. Eine „Vergangenheit, die nicht vergeht“ („. 282), wird zum Schluss konstatiert; passend dann auch die Kapitelüberschriften: „Kontinuitäten und Transformationen“ (S. 289), aktualisierend u.a. dem Antisemitismus gewidmet.

Beide Gründungen (1949; 1955/56) ereignen sich vor dem Hintergrund eines österreichischen Nationsbildungsprozesses: Dazu gehört sowohl die alliierte Pflichtvorgabe wie auch die für österreichische Kreise und Parteien Notwendigkeit, das Fortbestehen nationalsozialistischen Verständnisses in Theorie und Praxis zu verhindern, wenn nicht gar auszumerzen. – Als ‚Ehemalige‘ galten ca. 800.000 Personen, Ex - „Illegale“ sowie NSDAP-Mitglieder. Davon gehörten viele „der zweiten und dritten Ebene der NS-Hierarchie“ (S. 33) an. Deren Art Trauer galt nicht zuletzt einer „verlorenen Machtposition“ (S. 35). - Eine quasi politische ‚Exkommunikation‘ von womöglich dauerhaft Standfesten in der NS-Gesinnung war für die maßgebenden etablierten Parteien nicht praktikabel. Im Wissen darum, zudem mit den zahlreichen ehemaligen Wehrmachtssoldaten (eines Angriffskrieges) hinter sich, verstanden es die ‚Ehemaligen‘ sich ins richtige Licht zu rücken: als ‚verfemt‘ (S. 67,83), ‚politisch heimatlos‘ (S. 81) darzustellen, ringend um „Selbstachtung“ samt „Bekenntnis zu unserem deutschen Volk“ (S. 233).

Anders als bei der FPÖ-Gründung 1956, zu der der Exponent Friedrich Peter (Ex-Oberstürmführer 2. SS-Panzerdivision ‚Das Reich‘) das Konzept ‚Österreich als Nation‘ ablehnte und es als einen ‚freien, deutschen Staat in einem größeren Europa‘ ansah (S. 246), setzte 1949 der Mitgründer des VdU, Herbert Kraus, erklärter Monarchist (S. 94), auf die ‚Österreich-Karte‘ (S. 116), forderte ‚Versöhnung‘ (S. 83).

Alle Parteien haben mit den ‚Ehemaligen‘ kooperiert, auch die ‚Kommunistische‘. – Sah der VdU die ÖVP „als schärfste politische Konkurrentin“ (S. 110), bezeichnet Reiter die SPÖ gar „als ‚Geburtshelferin‘ des VdU“ (S. 104). – Trotzdem verteilen sich für sie bei den Nationalratswahlen „die Stimmen der entnazifizierten Nationalsozialisten in etwa gleichmäßig auf alle drei Parteien“ (S. 114). Was Wunder, „denn tatsächlich konnten die Regierungsparteien ihren Wählerinnen und Wählern mehr bieten als der in Opposition befindliche kleine VdU“ (S. 157).

Die Autorin hebt die Rolle des Salzburger Erzbischofs als „Fürsprecher der ‚Ehemaligen‘“ (S. 53) genauso hervor wie die nicht im öffentlichen Rampenlicht stehende „zentrale Bedeutung der Frauen im ‚Ehemaligen‘-Milieu“ (S. 273). Nur mehr „kursorische Ausblicke auf die weitere Parteigeschichte“ (S. 14) bietet die Autorin, wenn sie auf den „populistischen, dezidiert österreichisch-patriotischen (und ausländerfeindlichen) Kurs“ (S. 283) der FPÖ in den 1990er Jahren hinweist. Leider setzt die Verfasserin Begriffe wie: „Überzeugungen“ (S. 10), „rechtes Gedankengut“ (S. 16) als bekannt voraus.

Es kann einem durch die bei Reiter vorgeführten, ausgewerteten Quellen jedenfalls als aktuell bekannt vorkommen, wenn es in Bezug auf damalige „Neo-Nazismus-Vorwürfe“ bei ihr heißt: „Die Abwehr solcher Vorwürfe hatte offenbar auch eine identitätsstiftende Wirkung.“ (S. 116) Die ‚Ehemaligen‘ werden hier als eingehegt vorgeführt, nicht aber als genug gebändigt: schließlich bedurften sie hinsichtlich der ‚Vorwürfe‘ ostentativ eines Exorzismus‘ nicht.