Landschaft und Identität
Versuch einer österreichischen Erfahrungsgeschichte

Sichtweisen von Landschaften des 19. und 20. Jahrhunderts im Österreich der heutigen Grenzen, welche „Träume und Ängste“ sie hervorrufen, Erfahrungen sie „erzählen“ und welche „Bedeutungen Landschaften haben für die Identitätsbildung“ werden hier unterbreitet; stets unter analytischer Beachtung der „reale[n] Landschaft als Auslöser“ (S. 275). Dazu verwendet der Verfasser (fast) ein Sammelsurium von Quellen: Statistik, Belletristik, bildender Kunst, Filmen, Liedern, Märchen, Propagandaschriften, Ego-Dokumenten und anderen mehr; zudem die ihm passenden „Theorieelemente“ (S. 13), ohne sich dabei in extensiver Weise aufzuhalten.

Hanisch leistet sich einen im wahrsten Sinne persönlichen, subjektiven Zugang, indem er einem Wanderer gleich weniger eine Suchbewegung vollführt, sondern etwas vorfindet. – Seine spezifischen Befunde resultieren daraus, „die Holzwege und Tierpfade wie im Wald, die irgendwo aufhören, anderswo wieder beginnen und wieder unerwartet enden“, zu bevorzugen (S. 13). Dennoch, die gebotene methodische Vorgangsweise und Verlaufsstruktur seiner „Beobachtungen“ (S. 280) sind nicht verwirrend. Die Abfolge orientiert sich an elementaren Landschaften: Berg - Fluss – Wald – Ebene – See; die Themen sind geordnet um die beiden Pole: Landschaft als Gegebenheit - Verwendungen von Landschaft. Darüber hinaus dienen Signalbegriffe (etwa Nationalpark, Waldsterben, Todeslandschaft, der „Seltsame [Neusiedler] See“ (S. 305) als Art Wegemarken.

Resümiert wird zum Schluss nicht. Der Verfasser möchte sich eingereiht wissen in einen „Landschaftsdiskurs [ohne] Ende“ (S. 319). Nirgends gibt er der Verlockung nach, ‚Mentalität‘ einfach aus ‚Landschaft‘ hervorgehen zu lassen.

In einem „‘gemäßigten Konstruktivismus‘“ wie hier konstituiert sich Landschaft „relational“, „aus den physischen Tatsachen, gesellschaftlich bestimmten Landschaftsbildern, individuellen Gegebenheiten des Beobachters“ (S. 109). In Besprechung der „Alpen [als] ein Stück realer Natur“ (S. 110), dem „reale[n] Wald“ (S. 253), der „Realgeschichte“ der Donau (S. 195) bedient sich der Verfasser umfangreicher Statistiken, Forstmonographien, Forschungsliteratur zu Ökotypen der Alpen. Der Wald als Lebensraum fungiert dabei ebenso als Arbeitgeber, Wirtschaftsraum, wie durchgängig die „Domestizierung der Natur im Zentrum [steht], die eben auch Zerstörung produziert“ (S. 30). Entsprechend werden infrastrukturelle, energiewirtschaftliche Eingriffe wie Wildbachregulierungen, Transportstraßen oder Prestigeprojekte (Tauernkraftwerk Kaprun) erörtert.

In der Beschreibung geben die Institution „Alpenverein“ sowie der Tourismus Dimensionen des Sozialen und Politischen eine markantere Schärfe, wo Landschaften zu Konflikträumen mutieren: Kämpfe in und um das Territorium der Alpen im Ersten Weltkrieg; als Todeslager- und Zwangsarbeitslagerstätten, zu Fluchträumen („Alpenfestung“) im Zweiten; als Zonen divergierender Interessensgruppen im Falle von Nationalparks, unter mühevoller Kompromissarbeit (vgl. S. 186).

Neben der Darstellung menschlicher Zurichtungen, Aufbereitungen, den werbewirksamen Präsentationen von landschaftlichen Gegebenheiten, als Kulissen, skizziert Hanisch das den Naturregionen je „eigentümliche Milieu mit eigenen Diskursen, Ritualen, Gesten, Zeichen und Symbolen“ (S. 121). Dabei kommt der Autor mit Kapitelüberschriften wie: “Wahrnehmungen der Donaulandschaft“ (S. 210), „Der mystifizierte Wald“ (S. 239), „Waldgefühle“ (S. 244), dem als Steppensee für Österreich fast exotisch „seltsamen“ Neusiedlersee gleichsam zum Kern seines Projekts: Letztlich vermittelt er „seine“, vorzugsweise persönlichen Erfahrungen mit der österreichischen Landschaft, und zwar mit dem Instrumentarium eines langen Forscherlebens als vornehmlich Sozialhistoriker, aber auch als Wanderer. – Vollständigkeit wird nicht angestrebt (so fehlen etwa Aussagen zu Kärnten und Vorarlberg gänzlich). Allerdings wird man ausreichend mit dem Verfahren, das zur Darstellung dieser Erfahrung dient, konfrontiert.

Landschaftliche Umgebungen gelten, den Umfragen nach, den Menschen in Österreich ganz besonders als „österreichisch“ (E. Bruckmüller, Nation Österreich); „auch unabhängig davon, ob man selbst respektive die Elterngeneration bereits damit sozialisiert wurde oder nicht“ (A.Sperl/F.Kragolnik, Österreichbilder von Jugendlichen, S. 114). Somit ist auch für die in das Immigrationsland Österreich Hinzugekommenen die Landschaft in der Eigenzuschreibung eine Identitätsmarke.

Hanisch lässt, metaphorisch gesprochen, Landschaft nicht „kontaminiert“ (M. Pollack) sein: für ihn ist sie „unschuldig, damals wie heute“. (S. 215). Indem er von einem Faszinosum ausgeht, vermag seine Präsentationsweise auf die Leserschaft abzustrahlen.