Der hohe Preis des Friedens
Die Geschichte der Teilung Tirols. 1918-1922

Die Autoren haben sich die zeitlich schmale, dennoch turbulente Etappe jener vielen ersten Schritte zur Eingliederung Südtirols in den Staat Italien vorgenommen. Dazu unterbreiten sie Akteure wie Aktionen sowohl auf Tiroler wie, fernab, auf hoher politischer Ebene der Siegermächte des Ersten Weltkriegs; Italien als Mittriumphator war in den Verhandlungen über den Landstrich Südtirol entsprechend erfolgreich.

Als Quellen bedienen sie sich lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen, der Journalistik, Dokumenten (Übersichtskarten) der „Zentralgrenzkommission“; die Darstellung des Ereignisablaufs stützen sie auf die mittlerweile angewachsene, durchaus kontroverse Forschungsliteratur. Selbst halten sie sich bezüglich letztlicher Bewertungen auffällig zurück, fast so, wie wenn eine Art Ausgleich durch Moderierung der entgegenstehenden Versionen vorgenommen würde.

Eine moderate Haltung einzunehmen begünstigt allein schon der gewählte Zeitausschnitt. Erst gegen Ende dieser Jahre zeichnete sich markant das alsbald einsetzende brachiale Vorgehen im Faschismus ab. Die Deutsch-Südtiroler zu Menschen zweiter Klasse zu machen, zeigte sich bis dahin eher atmosphärisch: Es gab Anzeichen eines Modus Vivendi, Hoffnung auf gleichberechtigte Koexistenz der Ethnien.

Allgemeinverständlich sind sowohl die Formulierungen wie auch die einer Dramaturgie gleichende Gliederung der Darstellung. In der Hauptsache geht es um „die Schicksale der (kleinen) Leute“, „Erlebnisse“, „Erfahrene[s] (S. 11). Mit ihrem Titel haben die Autoren den Friedensschluss von St. Germain (1919) bewertet; ihre Perspektive gilt jenen, die von den Bestimmungen betroffen, emotional getroffen von einer Verlusterfahrung.

Wenn selbst der Vordenker eines italienischen (Gesamt)Südtirols, der (altösterreichische) Trentiner Ettore Tolomei, 1918 bei Erfüllung seiner Wünsche vermeinte: „‘Das Unwahrscheinliche ist Wirklichkeit geworden‘“ (S. 79), waren verbreitetes „Unbehagen“, “gewaltsame Eingriff[e] in Lebensweg[e]“ (S. 208) unvermeidlich. Der Bruch wurde als „‘Verdemütigung‘“ (S. 187) empfunden, und dagegen ohnmächtig, hielt man ab 1920 periodische Trauerfeiern ab. Die Darstellung geht den Gefühlslagen nach, wie das, was als „Verirrung“ (S. 215), „vorübergehende Entgleisung der Geschichte“ (S. 225) betrachtet wurde, allmählich Gestalt annehmen musste, weil mit der „Wahrheit über Südtirols Land und Leute bekanntzumachen“ (S. 146) nichts nützte.

Von Anbeginn war die angebliche Vakanz Südtirols eine Frage der sozialen Ethik, der Gerechtigkeit (vgl. S. 148, 204). Trotzdem kam es zu Annäherungen der beiden Ethnien durch alltägliche Kontakte, zu wohlwollenden, auch sexuellen Beziehungen; gemeinsame Lebensgestaltungen (vgl. S. 233/234) waren oft unumgänglich. Dergestalt zusammengerückt, wurden sich die Menschen beider Ethnien auch eklatant der Kollision von Mentalitäten gewahr: Auf Seite Italiens sprach man von „‘deutsche[r] Unverfrorenheit‘“ (S. 297), „Fremdstämmigen“ (S. Lechner; S. 314), auf Tiroler Seite nur ironisch von „‘kulturgesättigte[m] Süden‘“ (S. 291), „‘Akte[n] [=anlässlich der Zertrümmerung von Schildern; Verf.] südländischer Kultur‘“ (S. 305). In der regierungsoffiziellen Strategie zur Sympathiegewinnung, die „‘hochgebildete Bevölkerung‘ Südtirols“ (S. 296) zu preisen, offenbarte sich das Kernproblem: Beide ethnischen Formationen waren in ihrem Selbstverständnis gleichermaßen von ihrer jeweiligen kulturellen Attraktivität davon überzeugt, andere zu assimilieren.

Das Kapitel über die Grenzziehung zwischen Österreich und Italien kommt im Umfang jenem zur Pariser Friedenskonferenz von 1919 gleich. Weltmachtpolitische Hintergründe und Motiven der Friedensschließer werden nur umrissen. Für die Autoren resultiert aus den zitierten Quellen die „Frage Tirols“ überhaupt als „ein Randthema“ (S. 126) der Friedensverhandlungen. Mutmaßlich ist für sie Südtirol bloßes Vermittlungsobjekt zwischen den Großmächten: etwa, dass die „Brennergrenze als frühes Entgegenkommen vielleicht die italienischen Politiker positiv gestimmt“ hätte dem ‚Völkerbund‘ (S. 115) beizutreten. Indem sie sich mit Urteilen zurückhalten, kann aus den offerierten Informationen nur selbst geschlossen werden: Südtirol war für Italien zwar eine wertvolle, dennoch bloße Kompensation (für nicht erhaltene Gebiete im östlichen Mittelmeer), eine Art ‚Prämie‘ oder ‚Provision‘, keine ‚erste Wahl‘.

Im Hinblick auf die Titelwahl, kann die geringe Rücksicht auf alte, historische Rechnungen, die beim ‚Friedensschluss‘ über Südtirols Kopf hinweg beglichen wurden, als Mangel erscheinen: Frankreichs Rivalität mit Habsburg-Österreich; die ungeliebte Tradition ‚Deutscher Reichspolitik‘ unter den Habsburgern auf der Apenninenhalbinsel; und aktuell: Neuordnung der Kolonialpolitik durch die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien. Südtirol wird dann zu einer semikolonialen Prätention Italiens.

Die Einbeziehung der großen Rechnungen macht erst die Höhe der Summen von Zechen deutlich, die die Menschen in Südtirol einzeln zu zahlen hatten.