Trolle
Ihre Geschichte von der nordischen Mythologie bis zum Internet

Der Autor weist hier Imaginationen des Gebildes ‚Trolle‘ ihren eigentlichen geistigen (soziokulturellen, mythologischen) und regionalen (Skandinavien) Ursprüngen zu; viele andere Kreationen von Trollen verweist er durch Auf- und Nachweise von deren Modifizierungen, quasi Derivatbildungen, die bis zu ihrer gänzlichen Umgestaltung reichen, auf ihre nachgereihten Plätze.

Die Frage der Legitimität von (Um-)Wandlungen der Trollgestalten offen lassend, gilt Simeks Präferenz auffällig, als Movens und Ziel seiner Darstellung, den „ursprünglichen Vorstellungen von Trollen“ (S. 11): gleichsam einem Phänotyp, entstanden aus naturräumlich bedingten, (vorchristlich)religiösen-kulthaften-mythologischen Bedürfnislagen.

Die Lektüre versetzt einen so in den Vorteil, selbst noch in den äußerst, die originäre Form verwischenden Metamorphosen zu erkennen, was und mit welchen abweichenden Funktionalisierungen durch Umbildung anheimgefallen ist.

Mit dem Herkommen aus ‚grauer Vorzeit‘, „noch älter als die Wikingerzeit (ca. 793-1066)“ (S. 11), lässt der Verfasser seine Chronologie beginnen, die anhebt mit einer „Gigantogonie, also der Lehre von der Entstehung der Riesen“ (S. 25), gleich aber mit den mittelalterlichen Trollen in der nordgermanischen Mythologie und den isländischen Sagas fortsetzt; als „ein ausschließlich skandinavisches Phänomen“ (S. 93).

Trolle werden als ‚dumm‘, ‚langsam‘, ‚primitiv‘ (vgl. S. 38) charakterisiert, dem Christentum gegenüber feindlich, da „viel eher dämonischer, also anderweltlicher Natur“, auch „dem Menschen […] prinzipiell feindlich gesinnt“ (S. 78/79). – Dennoch gibt es ‚hilfreiche Töchter der Trolle‘ (vgl. S. 57 ff.).

Mit einer im Zuge der Nationalstaatsbildungen im skandinavischen Raum verstärkten Mannigfaltigkeit von Trollen wird auch der Begriff „unschärfer“ (S. 95), und mit Beginn des 19. Jahrhunderts spaltet sich  räumlich die Charakterologie der Trolle: in westnordische (Trolle bleiben riesig, einzelgängerisch; Waldbewohner) und ostnordische (kleiner, sozialer; Berg- und Hügelbewohner; vornehmlich in Schweden und Dänemark).

In seiner Sichtung von Verwendungen der Trolle in der Literatur, beschränkt sich Simek darauf, „wie die entsprechenden Wesen in einzelnen Texten beschrieben werden“ (S. 103). Schließlich kommt es zu den in Kinderbüchern „grassierenden Verniedlichung von Gestalten der niederen Mythologie“, die „mit Trollen so gut wie nichts zu tun haben“ (S. 147). Deren Bewertung mit „keinerlei didaktische[r] Funktion“ (S. 168) leiten über zu den ‚Kommerztrollen‘. Als aktuelle Variante der Begriffsverwendung Troll, widmet sich der Verfasser jenen im Internet, gemeint als „gezielte Störung der Kommunikation anderer“ (S. 217) sowie dem Betrug und Schwindel bei Patentrechten durch ‚Patentrolle‘.

Die historisch entwickelten Aufschlüsselungen des Begriffs Troll münden hier in einem Zirkel. Gegenwärtig und wie im Mittelalter hält sich „eine Konstante dieser Gestalt“: das „personifiziert Böse und für den Menschen bewusst Schädliche“ (S. 219) zu figurieren.

Zuständig für Ältere Germanistik, widersteht Simek jeglicher Verlockung, über die jeweiligen Funktionalsierungen von Trollen (tiefen)psychologisch zu spekulieren; mit dem Ergebnis einer wahren Expertise.