Vom Kaiser zum Duce
Lodovico Rizzi (1859-1945). Eine österreichisch-italienische Karriere in Istrien

Für den Verfasser dieser „quellengesättigt[en]“ (S. 8) Lebensskizze des schon seiner Geburt wegen zuhöchst privilegierten, Landgüter besitzenden ‚Gentiluomo’ Rizzi, mündet dessen ungemein vorteilhafte Parteinahme für das habsburgische Regime zwar nicht zwingend in das von Mussolinis Faschismus, wohl aber erblickt Wiggermann in der ‚Verschiebung’ von „Rizzis moralische[m] Referenzsystem“ (S. 391) eine Art von „Verantwortung der altösterreichischen Politikergeneration“ Istriens überhaupt, die wie „viele andere liberale Italiener wissentlich den Antidemokraten Mussolini unterstützt[en]“ (S. 439).

Die thematische Gliederung ist an den teilweise zeitlich sich überlappenden, jeweils höchsten politischen Verwaltungspositionen Rizzis ausgerichtet (Bürgermeister seiner Geburtsstadt Pola/Pula, Landeshauptmann und Landtagsabgeordneter Istriens, Abgeordneter im Wiener Reichsrat). Und es ist ein „beeindruckender Leistungsausweis“ (S. 133), den sich Rizzi laut Wiggermann ausstellt. Insbesondere gilt dieses große und beständige Engagement der Stadt Pola (Schulen, Krankenhäuser) und Istrien (Wasserleitung); eine augenscheinlich stetige Sorge um „die Bedürfnisse seiner Landsleute“ (S. 309), die sich selbst auf die Zwischenkriegszeit erstreckt. Den Autor „[überrascht] Rizzis Werdegang nicht“ (S. 212), schließlich „gehörte [er] zu den reichsten Wählern der Markgrafschaft Istrien“ (S. 113). Mit mehr solchen Politikern derartiger Vermittlungskapazitäten wäre, nach Wiggermann, „das Kaiserreich 1914/18 vermutlich nicht gescheitert“ (S. 299). – Dann jedoch, mit der Übernahme des „Sonderkommissariats“ im bereits faschistischen Pola 1923 - der ‚Sündenfall’: „das ansehnliche Bild des Ex-Liberalen bekommt […] einen] Riss“ (S. 395). Bis zuletzt begleitet Rizzi, seinem Biographen nach, das Glück, denn „[d]en Scherbenhaufen der faschistischen Gesellschaft musste [er] nicht mehr zusammenkehren“ (S. 445).

Die Kluft („Riss) zwischen den beiden im Titel der Biographie angelegten divergenten Regierungssystemen mit oben erwähnten habsburgischen Kontinuitäten (zur Erklärung) schließen zu wollen, überrascht nun doch. Denn es ist der Autor selbst, der detailreich den Radius an Möglichkeiten darlegt, der Rizzi, „im konstitutionellen Österreich politisch erwachsen“ (S. 82) werdend, gerade in einer Stadt wie Pola, durch die Zugehörigkeit zum Großraum der Donaumonarchie, zur Verfügung stand.

Pola ist ein mit seiner rasant angewachsenen Menschenanzahl, multiethnischen Zusammensetzung, sogar einem „allgemeine[n] Wahlrechtselement“ (S. 182) noch vor dem allgemeinen Wahlrecht von 1907, ein Sonderfall, „hybrid“ (S. 218). Als Hauptsitz der ‚k.u.k. Kriegsmarine’ und dessen sich häufig mit jenen der Kommune überkreuzenden Bedürfnissen, ergab sich dennoch für „beide Seiten“ (S. 107) eine Win-win-Situation. Einerseits konnte man sich wähnen wie in einer „città straniera im eigenen Land“ (S. 93), wo - im Gegenzug - insbesondere die Italiener so tun konnten „als ob Österreich nicht existierte“ (S. 10), andererseits war die gesamtstaatliche Marine omnipräsent und m.E. omnipotent: eine alltägliche konkrete Rivalität! - Ohne derartige Rahmenbedingungen wäre der Typus des hier charakterisierten politischen Mediators weder nötig noch möglich gewesen.

Noch bevor solche Praktiken einer angestrengt arrangierten altösterreichischen Koexistenz durch den Staatszerfall offiziell beendet wurden, Ende Oktober 1918, tritt Rizzi dem „Nationalbund“ („Fascio nazionale“) bei, als dessen Vizepräsident. Die politische Bahn für die markante Favorisierung der Ethnien zugunsten der Italiener war nun frei, wo vorher „die Abwertung des slawischen Elements mit der Ablehnung der österreichischen Verwaltung einher[ging]“ (S. 215). Der Autor berücksichtigt Rizzis Emotion: „bei aller Sorge um seine österreichisch verwaltete Heimatprovinz Istrien, [hing dessen Herz] am Schicksal Italiens, nicht in erster Linie am Weiterleben Österreich-Ungarns“ (S. 317).

Eine Vorsicht bei Urteilen ist wissenschaftliche Tugend, und der Verfasser beschränkt sich häufig auf ins Offene gehende rhetorische Fragen (vgl. S. 392, 427, 444).

Wiggermanns Faktenaufbereitung lässt dennoch den Schluss zu, dass es sich beim Objekt seiner Biographie um den Typus des kulturnationalitalienischen altösterreichischen Staatsbürgers handelt. Eine für diesen zu leistende permanente Lösungsorientiertheit belässt die Frage nach einem etwaigen ‚Irredentismus’ (die Vereinigung Italiens) im Hintergrund. Altösterreichs Hochbürokratie hat den Angehörigen einer regionalen Elite, seine „Kirchturmpolitik“ (S. 57) genauso wie seine Eignung zum Takt, zur politischen Taktik, seine Finesse wie sein Raffinement zu nutzen verstanden.

Beteuert Rizzi in der faschistischen Periode, er sei bloß: „il devoto servitore della mia città natale“ (S. 390), so bietet er im Hinblick auf den Titel der Biographie kaum das Bild eines Dieners zweier (Franz Joseph I, Benito Mussolini) Herrn in zeitlicher Abfolge, vielmehr eines Dieners seiner jeweils zur eigenen gemachten Sache.

Er, der sich, wie Wiggermann betont, „nicht bis nach oben durchkämpfen [musste]“ (S. 72), „tauchte nach dem Kriegseintritt Italiens [1915; P.R.K.] aus der Öffentlichkeit [vorübergehend; P.R.K.] nahezu ab“ (S. 319), nach Triest. Privilegiert, hatte er als einer der ersten (unwissentlich) schon den Anfang gesetzt, zum: ‚Il Lungo Esodo’ (Raoul Pupo. Milano 2005), der Exilierung der Mehrheit der Italiener aus Istrien nach 1945. Die Qualität dieser Biographie liegt vorzugsweise in den daraus sich ergebenden Schlüssen.