Im November 2018, zu den Feiern „Hundert Jahre Republik Österreich“, soll ein Geschichtemuseum in der Neuen Burg in Wien eröffnen, gewidmet der Spanne „ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt auf der Zeit von 1918 bis zur Gegenwart“ (S. 11).
Der vorliegende Band dokumentiert prinzipielle Überlegungen zum Zeitpunkt, Standort, Namen, zu ‚Inhalten des Österreichischen’, zur Relevanz der Historie sowie musealen Aufbereitung dieses Projekts; verantwortlich dafür zeichnen überwiegend schon seit Jahrzehnten in Österreich profilgebende Exponentinnen und Vertreter der Geschichtswissenschaft.
Einmütigkeit gibt es lediglich bezüglich des Zeitpunkts: „politisch treffend gewählt“ (S. 256), „längst überfällig“ (S. 83) heißt es da; was aufgrund „der schier endlosen Geschichte dieses Projekts“ (S. 44) und dessen Behinderungen nicht weiter verwundert. Betont optimistisch gibt sich der Vorsitzende des diesbezüglichen Internationalen Wissenschaftlichen Beirats, Oliver Rathkolb, der mithilfe des Museums die Ermöglichung eines Tabubruchs erblickt: zum einen durch einen „transnationale[n] Diskurs mit den Nachbarstaaten über einen ‚gemeinsamen’ historischen Zeitraum“; zum anderen durch einen „Vergleich der Entwicklungen der Globalisierung um 1850 bis 1870 mit der aktuellen Globalisierung seit Mitte der 1980er-Jahre“ (S. 76-78).
Mehr oder weniger kontrovers dazu sind die Positionen aller anderen Beiträge, die Bedenken anmelden, Ratschläge geben, und insbesondere im Falle der Museumspädagogik auch zu Rundumschlägen ausholen. Dabei interessieren besonders Logik und Kontexte der jeweiligen Argumentationen.
Schroffe Gegensätze gibt es zur Standortwahl: Sind Hofburg und Heldenplatz aufgrund von Überschneidungen geschichtlicher „Achsen“ (S. 243) für W. Häusler kongenial gewählt, somit „der Heldenplatz ‚endlich republikanisch in Besitz genommen‘“ (H. Uhl; S. 279), „ergäbe“ dies für G. Botz im Zusammenhang mit österreichischer „(Zeit-)Geschichte“ „Fremdenverkehrskitsch“ (S. 121).
Erhebliche Divergenzen bestehen auch unter den Ausgangsfragen: „Welche Narrative, wessen Geschichte?“ (S. 213): Markant anmahnend umrissen werden dabei die hartnäckigen Schlüsselthemen um Dimensionen des ‚Österreichischen‘, das damit verquickte Problem der geschichtspolitischen Legitimität der allfälligen Einarbeitungen von Gruppen und Ethnien sowie die Kontinuitäten einer Brisanz der Relationen ‚Österreichs‘ zu ‚Deutschland‘.
Gemeint ist etwa auch „die Wiedereinschreibung der jüdischen Geschichte in die allgemeine Geschichtsschreibung“ (W. Maderthaner; S. 215); des weiteren die „heute mehr denn je aktuell erscheinende historische Verbindung zu den ost- und südosteuropäischen Staaten“; dann „die ins Mittelalter zurückreichende politisch-rechtliche Verbindung zwischen den verschiedenen ‚österreichischen‘ Herrschaftsterritorien mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“; sowie eine zu berücksichtigende „Herausentwicklung Österreichs aus dem Reich“ (B. Mazohl; S. 227, 230).
Solche nicht unbescheidenen Sprengungen des Projektrahmens bekunden, mit letzterem überhaupt nicht einverstanden zu sein; sehr deutlich etwa bei H. Rumpler: „Die österreichische Geschichte ist nun aber anerkanntermaßen zu groß und im europäischen Kontext zu bedeutsam, um von einem Zentralkomitee museal und dirigierend betreut zu werden“ (S. 258).
Affirmativ und umsetzungsbemühter erscheinen die Hinweise zu einem möglichen Verklammerungskonzept der Dauerausstellung auf die Traditionen eines „starken Landespatriotismus und Föderalismus“ als konstituierender Faktor österreichischer Identität (S. 125/126); des weiteren auf die unter dem Dach des Staatsgrundgesetzes von 1867 regierten Kronländer der sogenannten cisleithanischen Reichshälfte, selbst wenn sie keine „politische Union“ (S. 263) gebildet haben.
Das Konzept einer „langen Zeitgeschichte“ von H. Leidinger (S. 133) erscheint als passförmig. – Einwänden und zusätzlichen Erweiterungsvorschlägen entkommt das bereits bei der „Niederösterreichischen Landesausstellung“ (1996) erprobte Modell von E. Bruckmüller, das sich entlang von Oppositionsbegriffen, „Konfrontationen“ wie etwa: „untertänig – emanzipiert“; „Völkerverein-Völkerkerker“ (S. 222) bewegte.
„Fundamentalkritik“ (S. 145ff.) kommt vornehmlich aus den Kreisen der Museologie und Archivistik: Die Rede ist hier gar von einer Revision in Richtung der Erfordernis von Selbstreflexion, Hermeneutik, sodass Ausstellungen „eine Art vergegenständlichtes Buch zu sein“ (M. Hochedlinger; S. 168) hätten. Den wohl diametralen Gegenvorschlag dazu bildet eine „virtuelle Ausstellung“, eine Website (K. Vocelka; S. 208).
Bei der zusätzlich beklagten „Geringfügigkeit der Mittel“ (A. Brait; S. 288) zur Errichtung dieses ‚Hauses‘, darf man auf Basis der jeweils eigens um Triftigkeit bemühten Argumentationslinien der in diesem Band gelieferten Beiträge gespannt sein, was sich schließlich durchsetzt. Immerhin soll es laut Gesetzesentwurf eine ‚Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs‘ werden.
Aus diesem Grund bietet die vorliegende Sammlung den seltenen Fall einer speziellen Spannung, geschöpft aus der Frage, was inhaltlich und konzeptionell im geplanten ‚Haus’ tatsächlich Platz gefunden haben wird.