In einer Zeit, in der die Begegnung der Kulturen, der Umgang mit dem Fremden und nicht zuletzt die Frage nach Einheit und Vielfalt Europas eine außerordentliche Brisanz gewinnen, verwundert das ungebrochene Interesse an der Geschichte der Kreuzzüge in keiner Weise. Vor diesem Hintergrund kommt dem methodischen Zugriff und einer grundlegenden Neubewertung durch britische Historiker eine richtungsweisende Bedeutung zu: Der Kreuzzugsbegriff erfährt eine erhebliche Ausweitung bzw. Umwertung. Dies führt zunächst zu einer vergleichenden Betrachtung der drei Hauptschauplätze des (Kampf-) Geschehens im Orient, der iberischen Halbinsel und Nordostmitteleuropa (Preußen/Baltikum).
Vor allem aber wird mit der grundlegenden Einsicht ernst gemacht, daß die Kreuzzugsgeschichte sieben Jahrhunderte umfaßt und keinesfalls auf die großen militärischen Expeditionen in den Orient eingeschränkt werden kann. So wichtig die Zäsur von 1291 auch gewesen sein mag, so endeten Kreuzzugsidee, -diplomatie, -politik sowie militärische Kreuzzugsaktionen zu Wasser und zu Lande in keiner Weise. Sie spielten vielmehr bis 1798 - d.h. bis zur Eroberung Maltas durch Napoleon - weiterhin eine ganz wesentliche Rolle. Ein gerne übersehener und häufig unterschätzter Aspekt der spätmittelalterlichen Welt erfährt damit seine verdiente Würdigung.
Zugleich rückt die Problematik des lateinischen Orients mit all seiner Vielfalt in das Blickfeld. Dies betrifft ebenso die Einfuhr von Rohstoffen und Lebensmitteln durch Venedig und Genua wie vor allem die (prä-)koloniale Baumwoll- und Zuckerindustrie auf Kreta und Zypern. Allerdings blieb als beträchtliche Hypothek im Verhältnis von Ost- und Westkirche die nicht zu leugnende Tatsache, daß die 'fränkischen Regime' im östlichen Mittelmeerraum geradezu als Herrschaften von Westeuropäern über (zumeist) orthodoxe Griechen definiert waren. Das Trauma des vierten Kreuzzuges wurde dadurch immer wieder aufgefrischt und perpetuiert.
Wie Norman Hausley in seinem Beitrag überzeugend herausarbeitet, bedeutet die grundsätzliche Ablehnung der Kreuzzüge in den protestantischen Ländern eine tiefgreifende Wende der gesamten Entwicklung: 1) Die scharfe Ablehnung der römischen Autorität und d.h. insbesondere des Anspruchs auf Leitung der Kreuzzugsunternehmungen zeigt zugleich, in welch bedenklichem Maße den Päpsten ein Instrumentarium entglitten war, ohne das ihr steiler machtpolitischer Aufstieg kaum vorstellbar ist. 2) Die Kreuzzugsbewegung und das eng mit ihr verbundene Ablaßwesen lebte nur noch im Süden weiter, während das nordalpine Europa sich von diesen im Mittelalter entstandenen Vorstellungswelten definitiv trennte.
Dank der doppelten Verwurzelung der Ritterorden im diakonischen Dienst und der 'militia Christi' spielen sie auch nach ihrer Vertreibung aus Palästina eine außerordentlich wichtige Rolle - insbesondere da, wo die Gründung eines Ordensstaates gelang. Um so schärfer wird deutlich, daß die von Clemens V. exekutierte Katastrophe des Templerordens (1312) ein gefährliches Krisensymptom für die gesamte Kreuzzugsbewegung war - und nicht zuletzt auch für das eng mit ihr verbundene Papsttum.
Insgesamt spiegelt das vorzügliche Werk, das die Erwartungen an eine 'illustrierte Geschichte' weit übertrifft, mit seinen 15 Einzelbeiträgen die Verlagerung des Forschungsinteresses auf die Kultur-, Religions- und Sozialgeschichte wider. Nicht zuletzt wird deutlich, daß im Verständnis der britischen Forschung die in ihrer geographischen und chronologischen Perspektive erheblich erweiterte Kreuzzugsgeschichte als Vor- und Frühgeschichte des Kolonialismus (bzw. der europäischen Expansion) verstanden wird. Für die klassische Grundsatzfrage nach Voraussetzung, Bedeutung und Konsequenzen der Säkularisation bzw. des Wandels vom Mittelalter zur Moderne eröffnet sich damit ein neuer und weiter Horizont.
Die Erschließung des mit einer Fülle an Bildmaterial ausgestatteten Bandes wird durch eine Zeittafel (S. 449-456), Karten (S. 457-465), weiterführende Literatur (S. 466-472), Bildnachweise (S. 473f.) sowie ein Orts- und Personenregister (S. 475-488) erheblich erleichtert.
Bedürfte es eines weiteren und überzeugenden Beweises, daß die schicksalhaften Begegnungen zwischen Orient und Okzident immer wieder ein intensives kulturelles Lernen anregten und ermöglichten, dann wäre er mit dem von Roberto Cassanelli herausgegebenen Band Die Zeit der Kreuzzüge - Geschichte und Kunst hinreichend erbracht. Der mit außergewöhnlich reichem Bildmaterial ausgestattete Band fragt nach der zentralen Bedeutung der Kreuzzüge für den Kulturaustausch sowie künstlerische Innovationen.
Verfolgt man gerade diesen wichtigen Aspekt weiter, so schälen sich mindestens vier Regionen heraus, die als eigenständige Kunst- und Kulturzentren gelten können: 1) Begegnung, Zusammenprall und wechselseitige Befruchtung zwischen dem Abendland und der arabisch-islamischen Welt sind zuerst auf der iberischen Halbinsel nachweisbar. Ein neuer, individueller und origineller Kunststil ist Ausdruck einer bis dahin ungewöhnlichen Symbiose. Spanien wird geradezu zum Wegbereiter des Kreuzzugszeitalters, dessen Ideen, Mentalitäten und Propaganda hier auch am längsten verwurzelt bleiben. Seine Rolle als Kern- und Führungslandschaft des Kreuzzugszeitalters ist damit evident. 2) Ideell, politisch und militärisch stehen Eroberung und Verteidigung des Heiligen Landes im Mittelpunkt des Geschehens. Dabei kommt dem System der 'kolonialen Festungsbauten' naturgemäß eine ganz entscheidende Rolle zu. Dies gilt ganz analog für die zumeist synkretistischem Stil folgende religiöse Architektur. Als schlechthin einmalig kann die Bedeutung der Jerusalemer Grabeskirche bezeichnet werden, die dem Abendland Jahrhunderte lang als Modell diente. 3) Ein Kulturzentrum mit singulärer Ausstrahlungskraft war Byzanz, das gerade auch auf den Westen einen tiefgreifenden Einfluß ausübte - und zwar ungeachtet aller liturgischen und dogmatischen Differenzen. Wie stark die Faszination tatsächlich war, zeigt der 'Schatz von San Marco in Venedig', ein frühes Beispiel des traurigen Phänomens 'Beutekunst'. 4) Eine bemerkenswerte Sonderstellung kam schließlich Ägypten zu. Von dieser Position her durchdringen die Fatimiden Nordafrika sowie Syrien und Palästina.
Zusammenfassend kann man sagen, daß der von Cassanelli redigierte Band bewußt in der historiographischen Tradition von Fernand Braudel steht und den Mittelmeerraum als (kultur-)geographische Einheit versteht und auf der Basis dieses Verständnisses einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Kunst während der Kreuzzüge leistet. Dieser Ansatz bietet zugleich wichtige Aufschlüsse über die Genese historischer Landschaften und damit das Phänomen der Funktion von Landschaft überhaupt. So unbestritten und eindrucksvoll die Herausbildung und geistige Individualität der einzelnen Kunst- und Kulturlandschaften auch war, so schufen doch erst der Handel und insbesondere die Kreuzzugsbewegung jene Vernetzung, die Mischstile bzw. einen vielfältigen und bunten Synkretismus in Kunst und Architektur zur Folge hatten. (Eines der einzigartigen Beispiele hierfür ist ohne Zweifel die Capella Palatina in Palermo.)
Der vorzügliche Band ist mit einem Anmerkungs- und Literaturverzeichnis (S. 286-302) sowie einem knappen Abbildungsnachweis versehen. Die ohne Angabe eines Maßstabes beigefügte Karte des Mittelmeerraumes zur Zeit der Kreuzzüge gibt allenfalls einen sehr groben ersten Eindruck und ersetzt keineswegs die lohnenden Studien zur historischen Geographie und Topographie (S. 284).
Hinter den beiden hier angezeigten Werken steht immer auch die Frage nach einer europäischen Friedensordnung sowie der empfindsamen Thematik 'Papsttum und Krieg'.