Berühmte Jahre
Oder: was noch geschah, als Heinrich nach Canossa ging und Kolumbus Amerika entdeckte

Dieses Buch wendet sich in anekdotischer Form sowohl an den Fachhistoriker als auch an den interessierten Laien mit einer ungewöhnlichen Zusammenstellung von geschichtlichen Ereignissen, die die Zeit von 1077 bis 1914 umgreifen. Beginnend mit dem wohlbekannten Canossa-Gang Heinrichs IV., werden jedem behandelten Ereignisjahr insgesamt drei Geschehnisse zugeordnet, die i.d.R. nicht im kollektiven Gedächtnis unserer Gesellschaft gespeichert sind. So verquickt die Autorin Heinrichs IV. Bußgang im Jahre 1077 mit dem Bau der Abteikirche St. Etienne in Caen mit seinem verblüffenden Vor- und Nachspiel und dem Privileg des Nonnenklosters im Chiemsee. Diese historische Verfahren von Synchronizität eröffnet ganz neue Perspektiven auf den beleuchteten Zeitraum, der dadurch plastischer und umfassender in unseren gewöhnlich eingeschränkten Rückblick tritt. Dieses Darstellungsprinzip, das man als mentalitätsgeschichtliches Schlaglicht auf im Dämmer der Zeit liegende Begebenheiten bezeichnen könnte, behält die Autorin für insgesamt zehn Ereignisjahre bei.

Der Rezensent ist besonders berührt von der genauen Zeichnung des Jahres 1517, dessen quingentenniales Gedenken schon heute seine Schatten vorauswirft, und von der des Jahres 1789, in dem Dora Stock – wahrscheinlich unbeeinflusst vom Sturm auf die Bastille – das letzte Portrait Wolfgang  Amadeus Mozarts auf dessen Durchreise durch Dresden mit dem Silberstift erschafft.

Nicht selbstverständlich ist es, dass sie Autorin für alles Dargestellte extensive Quellenbelege beibringt und einen Schreibstil an den Tag legt, der sich häufig witzig-ironischer Bemerkungen bedient und dennoch seinen Gegenstand sachlich fundiert behandelt. Häufig geht sie dabei ausführlich auf Stilfragen ein, die sich für beschriebene Gebäude und architektonische Ensembles stellen. Als kompetente Kunsthistorikerin beantwortet sie diese Fragen in einer auch für Laien verständlichen Art.

Die im Vorwort ausgesprochene Danksagung für die Hilfe bei Grammatik, Logik und Stil müsste nach Ansicht des Referenten, der noch zu der alten Duden-Generation gehört, leicht eingeschränkt werden. So fehlen z.B. die Kommata jeweils zwischen 2 vollständigen, mit „und“ verbundenen Hauptsätzen; oder das Fachwort „Abbatiat“ (S. 74) wird nicht erklärt; oder das Verb „gedenken“ wird mit dem Dativ anstelle des Genitivs konstruiert (S. 71).

Doch diese Kleinigkeiten können nicht das Vergnügen der Lektüre stören, das einen dazu verführt, das Buch erst aus der Hand zu legen, wenn Partnerin oder Partner bereits zum dritten Mal mit erhobener Stimmen zum Abendessen gerufen haben.

Alles in allem: Ein Buch, das jedem zu empfehlen ist, der sich für die Seitenpfade interessiert, die Geschichte nun einmal geht.