Mozart oder Über das Schöne

Für einen Liebhaber der Musikwissenschaft und der Philosophie ' das Wort 'Dilettant' klingt im Deutschen zu pejorativ ' ist der Einstieg in dieses Buch zunächst einmal sehr mühsam. Zu sehr brilliert der Autor, der sich als Intimkenner des Mozartschen Oeuvres von Kindesbeinen an bezeichnet, mit seiner immensen Belesen- und Behörtheit (venia sit verbo!) in des Meisters Werk, daß einem die K-Zahlen (gemeint ist das Köchel-Verzeichnis) nur so um die Ohren fliegen. Seine Kenntnisse sind so intim, daß er alle Naslang Querverweise von einzelnen Takten auf andere in zeitlich äußerst disparaten Opera bringt; und man muß das Bedürfnis, diese Angaben in der eigenen Gesamtausgabe zu veri- oder falsifizieren, schnell unterdrücken, da an der Korrektheit der Angaben wohl nicht zu zweifeln ist. Nur so läßt sich vermeiden, daß der Lesefluß unterbrochen wird. Und dieser ist bei der schnörkellosen, dennoch eleganten Diktion des Autors ein Genuß! Dabei wird den Sprachkenntnissen des Lesers jedoch einiges abverlangt, da sich manchmal Zitate in Englisch und Französisch geradezu häufen (Italienisch und Spanisch kommen auch vor), ohne daß eine Übersetzung oder deutsche Zusammenfassung gegeben werden.
Doch die Mühe lohnt sich. In einem langsamen, aber stetigem Argumentationsduktus, der streckenweise immer wieder durch Ruhezonen philosophischer Betrachtungen unterbrochen wird, entwickelt der Autor seinen Begriff vom Schönen, den er aus der klassischen griechischen Philosophie herleitet, durch die Jahrhunderte seiner Anverwandlungen bis in die Neuzeit verfolgt und in der Musik Mozarts als dem Zeitlos-Schönem festmacht, das seine Wurzeln aus der Vergangenheit bezieht und bis in die sogenannte Moderne hineinwirkt. Dabei stößt er manche musik-wissenschaftliche Doktrin vom Sockel, wie z.B. Alfred Einsteins Verständnis der Mozartschen späten Klavierkonzerte als 'Ausdruck des Kampfes zwischen Individuum und Gesellschaft' oder Mozarts angebliche Affinität zur Form der barocken Fuge (mit deren Apotheose im letzten Satz der Juppiter-Sinfonie), die doch nur als Pflicht-Kotau vor dem archaisierenden Geschmack des Wiener Hofes zu verstehen ist. Immer wieder bringt er dabei als Gewährsmänner auch Wissenschaftler, die im bearbeiteten Genre zunächst exxotisch anmuten wie der englische Ökonom Adam Smith, in dessen Nachlaß sich aber bemerkenswerte, zu dessen Lebzeiten unveröffentlichte Schriften zur Musik-Ästhetik finden.
Einige Positionen des Autors sind dabei durchaus auch angreifbar, wie z.B. die Neigung zur biographisch hinterlegten Psychologisierung der Mozart-Opern. So wird die Trama von 'Così fan tutte' als Verherrlichung der treuen Liebe aufgefaßt, wo heute jeder Regisseur die Unmöglichkeit von Beziehungskonstanz und Kommunikation hineininterpretiert, oder der Auftritt der Komtur-Statue im 'Don Giovanni' wird platt-ödipal gleichgesetzt mit Leopold Mozarts unerwartetem Erscheinen in Wien, wie es das Klischee des 'Amadeus'-Filmes ausspielt. Auch fehlt der Hinweis bei der Behandlung der 'Mattigkeit' in Mozarts Spätstil, daß neben den psychologischen durchaus auch körperliche Faktoren mitgepielt haben könnten wie die chronische Nierenkrankheit, die H. C. Robbins Landon als Todesursache angibt.
Nach einer langen, z.T. mühsamen Wanderung kommt der Leser zum letzten Kapitel des Buches mit der Überschrift 'Die Schönheit der Moderne'. Hier faßt der Autor noch einmal seine Hypothesen in einfachen, aber schönen Worten zusammen als Quintessenz seines Buches: Mozarts Kunst ist es, unregelmäßig und doch zugleich faßlich zu komponieren, so daß eine 'Musik-Architektonik' entsteht, die das klassische Ideal von der 'Vielfalt in der Einheit' darstellt. Die Faßlichkeit wird erreicht durch die Synthese von Kontrasten in der Komposition, wobei die Architektonik letztendlich dem Tanz und dem Lied entspringt. Denn Mozart wußte als fanatischer Tänzer, daß diese abgeschlossenen Musikformen durchaus Irregularitäten enthalten, die in eine Einheit der Form gebracht werden können (nachweislich mehr noch in der rand- als in der zentraleuropäischen Musik). Und so kann seine Musik auch als Spiegelung der menschlichen Seele verstanden werden, die die verschiedensten Affekte eines einzigen Individuums in sich vereinigt.