Jene, die in Kultur- wie Sozialgeschichte als Gruppe „weniger erwähnens- und erinnerungswert betrachtet wurden“ (S. 22), rückt der Autor nun ins Zentrum. Nicht die wirtschaftliche oder kulturelle Prominenz, vielmehr die obersten Promille: die 929 Reichsten an Einkommen und Vermögen, deren Lebensläufe er abschreitet. 1910 stellte den Gipfel an Ungleichheit in der Verfügung über materielle Ressourcen dar, so wie Wien darin auch international eine Sonderstellung einnahm. Auf diese Weise wird mit Zeugnissen dokumentiert, was häufig bloß Stoff des Tratsches war.
Bei der Vorstellung der ‚Who Is Who‘ verfällt der Autor, respektvoll, allein schon deshalb nicht einem häufigen Ressentiment, empfehlen sich doch deren Lebensläufe bei genauerer Betrachtung nicht unbedingt mehr zur Nacheiferung als jene von weniger Reichen oder des Mittelstands.
Man erfährt, wo besagte Gruppe sich (mit weniger Reichen) zusammendrängte, beruflich wie privat „geschlossene Zirkel“ bildete (S. 198), im Parlament jedoch schon weniger vertreten war (S. 189); insgesamt andauernde und kaum auszuweichenden Begegnungen von Trägern oft zuwiderlaufender Interessen; was einen hohen Druck zum Ausgleich bildete, der oft genug zudem mithilfe verwandtschaftlicher, sexueller Bindung zu dämpfen versucht wurde.
Ob bereits reich geboren oder der Reichtum erworben wurde, davon geben die allein 160 Seiten an ‚Kurzbiographien‘ mit Zahlen und Fakten Auskunft, mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen (von 474 Adelsfamilien finden sich nur 60 unter den Millionären, S. 135). Sandgruber verlebendigt seine Daten, Lebensformen und Tätigkeitsfelder der Reichen werden anschaulich. Im Extrem kann dies dazu führen, dass sie zugespitzt, einen Dichter zitierend, „in des Wortes verwegenster Bedeutung ‚nichts‘“ (S. 125) taten, durch ihren Jagdeifer Bauerngründe zum Schwinden brachten (vgl. S. 201), in den „Bergrausch“ als „Machtrausch“ (S. 203) verfielen, sich ganz besonders der Altadel mit seinem Hang zum Automobil, dem von Arthur Schnitzler so bezeichneten„Auteln“ (S. 213), eben als solcher zu outen beliebte.
Erscheint Reichtum überhaupt, so der Befund, als vorübergehender Status, so war insbesondere der Krieg von 1914/18 eine Zäsur; die Vermögen wurden ausgeglichener, insgesamt auf niedrigerem Niveau. Der Autor verfolgt das Leben der Vermögensträger weiter, bis der Nationalsozialismus ab 1938 einigen von ihnen nach ihrem Vermögen und Leben trachtet; 18 der Millionäre enden im KZ.
Allenthalben zeigen sich Vergänglichkeiten: Etwa war für Reiche das Radfahrennur eine äußerst kurze Zeitspanne eine erschwingliche, somit exklusive Passion, knappe Jahre darauf schon ein „Alltagsgut“ (S. 206) geworden.
Zum Schluss, als eine Art Fazit, ein Bogen zur Gegenwart: Im „raschen technologischen und medialen Umbruch“ sowie in der „Wiederkehr der Ungleichheit“ erblickt der Autor Parallelen zwischen der aktuellen Situation und seinem Untersuchungszeitraum, eine soziale Asymmetrie, die „das wieder entdeckte Interesse an der Einkommens- und Vermögensverteilung rechtfertigt“ (S. 246). Mit dem Unterschied zu damals, dass heute Reichtum gleichermaßen wie Armut eher „versteckt“ (S. 248) wird. –Zumindest eine Angleichung ‚darin‘ ist demzufolge bereits vollzogen.
Die von Sandgruber belegten und belebten Vorstellungen darüber, was Reichtum bedingte und mit sich brachte, sind mit diesem Werk um einige wichtige mythenträchtige, ‚traumhafte‘ Facetten geringer, an Wirklichkeitsgehalt jedoch deutlich reicher geworden.