Während sich die Forschung in Bezug auf die Urheberschaft des Dollfuß-Putsches in Österreich bislang nicht so eindeutig aussprach, hat für den Autor allein Hitler „die Durchführung des Putsches an[ge]ordnet“, ja dieser „‚befahl‘ ihn“ (S. 245). Bauer stellt so den Staatsstreichversuch in den Rahmen der deutschen Geschichte, so wie er diesen Befehl auch durch außenpolitische, durch Einkreisungsängste (Angelpunkt Frankreich) bedingte Kalküle Hitlers motiviert sieht.
Aus Perspektive der Putschisten ist es für den Autor „eine Geschichte von Irrtümern, Illusionen und Fehlleistungen“ (S. 20), wodurch er gleichzeitig den Widersachern dieses Unternehmens attestiert, ‚realistisch‘, ‚richtig‘ sowie darin erfolgreich gehandelt zu haben.
Bauer hat sich mit seinem Thema eine äußerst brisante Phase, nämlich die der (De-)Formierung nationalstaatlicher Identität in Österreich vorgenommen; der Staat, somit seine Organe, standen dabei schon länger überhaupt zur Disposition. Die Standards ideologischer, national- und rechtsstaatlicher Zugehörigkeit befanden sich in der Schwebe, somit aber auch die Gültigkeit solcher Titel wie ‚Hochverrat‘, (Gegen-)Spionage‘ oder ‚Bruch des Beamteneides‘. Wenn nun der Autor seine Interpretationen mit Formulierungen spickt wie: „Unklarheiten“ (S. 59), „abwartende Haltung“ (S. 100), „lavierte“ (S. 106), „Lage nicht im Klaren“ (S. 135), „halbherzig“, „unentschlossen“ (S. 157), kulminierend im Urteil: „Dazu kam ein Ausmaß an internen Konkurrenzkämpfen und Intrigen, das jede Vorstellungskraft übersteigt“ (S. 231), verwundert dies in jener Etappe der Alpenrepublik nicht. Komplexer Weise rivalisierten miteinander nicht nur Personen, sondern es ging auch um das‚Worum‘ (staatlich, ordnungspolitisch, ideologisch, national, personal).Der jähe Umsturzversuch barg somit genügend Anlässe zu intra-personell ausgetragenen Konflikten. In jedem Fall verhielten sich zu viele Menschen (auch in staatlichen Institutionen wie Heer, Exekutive, Bürokratie) letztlich zu autonom in ihren Handlungen,als dass den Putschisten, Mitläufern wie Sympathisanten, ‚kein‘ Unglück beschieden worden wäre. - Das ist der Schluss, der nach Bauers Darlegungen gezogen werden kann!
Es sind die durch den Autor minutiös aufgelisteten Fakten, die ‚logische‘ Verknüpfung von gleichzeitigen Aktivitäten auf voneinander entfernten Schauplätzen des Aufstands, die insgesamt das Bild von den zuungunsten der Putschisten bestehenden Kräfteverhältnissen abgeben. Letztere bilden gleichsam das Widerlager zu den tatsächlichen Aktivisten wie (vorübergehenden) Aspiranten einer Staatszerstörung.
Den Großteil des Buches nehmen die Besetzung des Bundeskanzleramtes und des Rundfunksenders bzw. der Aufstand in den Bundesländern ein. Einen ‚Führerbefehl‘ zum Mord am KanzlerDollfuß gab es laut Bauer nicht, wohl aber zum Putsch insgesamt.
Man kann sich bei vorgängiger Lesart fragen, ob die bei Bauer so beschriebenen, nämlich durchaus handlungsmächtige wie – dabei notgedrungen – gedanklich reflexive Menschen, eines regelrechten ‚Befehls‘ von Hitler überhaupt bedurften? Brauchten tatsächlich jene eigens eine Lizenz, die Hitlers Interessen, die Zerstörung der Eigenstaatlichkeit Österreichs, teilten? Wohl kann einem erscheinen, dass sie sich seines ‚Segens‘ jedenfalls sicher sein konnten. – Und wäre das nicht viel wesentlicher als sein ‚Befehl‘?
Voranstehende Schlüsse, möglicherweise nicht ganz im Sinne des Autors, stellen – und zwar ‚innerhalb‘ des Rahmens der österreichischen Geschichte – den eigentlichen Gewinn dar. Bauer hat mutig ein schwer zu durchschauendes Feld nun durchsichtiger gemacht; die Undurchsichtigkeit liegt dabeiin einem gehörigen Maße an der Materie, nicht am Autor.
Jedenfalls war bislang der Juli-Putsch des Jahres 1934 in Österreich der zweite (faschistische), nach jenem vom September 1931 durch den Steirischen Heimwehrführer Walter Pfrimer; Bauers Zählung sieht hingegen Hitlers ersten Putsch(versuch), jenen von 1923 in München, als Vorläufer. – Die Leserschaft könnte sich über die in diesem Werk behauptete Funktion Hitlers als letztlich – offenbar unumgängliche – Nabelschnur des Putsches im Juli 1934 ein eigenes, autonomes Bild machen; immerhin bildete Österreich-Ungarn die ursprünglichere soziale wie politische Kultur des ‚Befehlsgebers‘.