Landschaften werden hier ‚berührt‘, und zwar kulturgeographisch (R. Guldin), berichtend (G. Madeja), kultur- (T. Hellmuth) sowie literarhistorisch (B. Müller-Kampel), ethnographisch (H. Konrad), satirisch (J. Perschy), satirisch-elegisch (D. A. Binder), verkehrstechnisch/fotografisch (H. Hofgartner) und schließlich durch Analyse eines architektonischen (An-)Gebots (J. Kassar). – Und dies mit gutem Grund, wird doch „im österreichischen Denken der Landschaft hohe identitätsstiftende Kraft zugesprochen“ (S. 7).
Die Vermessungen mithilfe genannter Zugriffe bleiben sich, im Gegensatz zur Wanderung der Lachse, der Vergeblichkeit ihres Strebens gleichsam flussaufwärts (vgl.S.20) eingedenk, hat doch so mancher Beitrag auch eine Ausrichtung auf Kindheit und Jugend zur Grundlage. In jedem Fall wird Subjektivität „in Anspruch“ (S. 7) genommen. So auch in jenem, wo die Aktivisten zur Verhinderung eines Kraftwerks in der Wachau zwar erfolgsgewiss sagen mögen: „Manch ein Erfolg Lag im Verhindern Die Landschaft blieb Wie sie gewesen [sic!]“ (S. 36), ein Wunsch bleibt dies letztlich trotzdem. Letzterer ist auch den humoristischen Ausführungen zur ‚Erfindung von Pannonien‘ zu entnehmen, eine „>österreichische Puszta<“(S. 95), die den hoffnungsvollen Bonus, „an ihren Grenzen sich selbst am ähnlichsten“(S. 88) zu sein, verspielt zu haben scheint, und selbst als „analpine Provinz“ zum „Lederhosenjodelklischee“(S. 101) gravitiert. Ähnlich satirisch, ja elegisch, wird eine ‚Geschichte‘ in einem ‚Dorf‘ in der Steiermark konturiert, über das es ernüchternd heißt: „Von meinen Spielgefährten lebt keiner mehr im Dorf.“(S. 165)
„Und oft frage ich mich, wie es Teile meiner Familie dort noch immer aushalten“(S.108), notiert Helmut Konrad, der so quasi seine Kindheitslandschaft ferne legt, indem ihm die ‚Abnabelung‘ von den spezifischen Bedingungen von Mensch verquickt mit Landschaft in Unterkärnten gelingt, und zwar hin zur Region seiner Wahl, den ‚Weinbergen der Steiermark‘ im Süden. Sehr lesenswert ist wie Konrad analytisch-emphatisch die Gegenüberstellung zweierlei ‚Passionen‘ gelingt: Eine, die ein Leiden ausdrückt, herrührend aus einer hartnäckigen Haltung, den Gebirgszug der Karawanken als ‚deutsche‘ Volksgrenze nicht wanken zu lassen, was Opposition hervorrufen muss; sowie jene, die Muße meint, wo die „Weinberge […] auch ein hohes Maß an Übereinstimmung von Landschaft und Menschen her[stellt]“, Katholizität verbindet, eine „verwischte Grenze“(S.109) dies erlaubt. Glaubt man mit dieser (winzer)landschaftlichen Unterstützung eine konfliktmindernde Regel aufstellen zu können, bleibt man verwiesen auf das Beispiel Südmähren und Weinviertel, das wohl mehr Koexistenz, Kooperation denn soziale Durchwachsenheit wie in der Südsteiermark und dem slowenischen ‚Gegenüber‘ bedeutet.
Thomas Hellmuth legt eine theoretisch fundierte Analyse, ‚Rekonstruktion‘ und ‚Entschlüsselung‘ des Salzkammerguts vor, die er in „drei Landschaftserzählungen“ vornimmt: „eine bürgerliche, eine nationale bzw. österreichische und eine proletarische“(S. 44). Sollten darin auch, wie verhießen, die „sozialen Praktiken“ der „darin lebenden Menschen“ zum Ausdruck kommen, erscheint das Fehlen des Adels und der Bauern in diesem Fall als Mangel: Hat doch die just diese Landschaft veredelnde Wahl des Kaiserhauses, und mit ihr der Adel und das sich ihm anverwandelnde Bürgertum im Gefolge, realpolitische Signalwirkung und ist unter anderem konsequenter Ausdruck der Privilegierung eines bestimmten Territoriums in den Zentralalpen gegenüber anderen in Altösterreich, (noch) von der Adria bis nach Podolien reichend; auch die Bauern würden als Betreiber von Klein- und Kleinstwirtschaften, neben den Dienstleistungen im Nebenerwerb sowie neben der zur Jahrhundertwende bei kulturellen Eliten in Mode gekommenen Wendung zum ‚Landvolk‘ ins Gewicht fallen. – In diesem Kontext wäre zu fragen, ob das allseits festgestellte ‚Selbstbild‘ in Österreich „als sehr inhomogen“ und wo „regionalen Differenzen große Bedeutung“ (S. 63) zugeschrieben wird, nicht ein Nachhall eines Kollektivbewusstseins aus der faktischen landschaftlichen Varietät Altösterreichs ist, heute also ein Phantom(gefühl)! Dem gegenüber könnte das Salzkammergut, vor 1918, als ein ‚Österreich in nuce‘, ‚konstruiert‘ erscheinen. – Ergänzende Hinweise zu dieser Reklamation, der ‚Deutschheit‘ (vgl. S. 74) des Salzkammerguts, bekommt man allerdings im Beitrag von Beatrix Müller-Kampel.
VORBILDlich ist die Fotoserie zur “Landschaftszerschneidung“ (S. 122) in den 50er Jahren in der Steiermark, präsentiert zur selbsttätigen Wahrnehmung und Bewertung als historische Quelle. So ist etwa zu erkennen, wie, in oft sehr kurzer Zeit, einem Zauber gleich, das Landschaftsbild sich verändert; was (auf und mit freier, vorzugsweise schneller Fahrt als deren Voraussetzung) heutige Rückverwandlungswünsche erklärt.
Exzeptionell, prononciert nicht exterritorial ist das vorgestellte Beispiel einer architektonisch umgesetzten Idee in Berlin, dem „Holocaust-Mahnmal als Kommunikationslandschaft“ (S. 187). Besonders deshalb, weil die üblichen, ‚gesitteten‘ Umgangs- und Begegnungsweisen mit und in diesem zur ‚Performation‘ anheim gegebenen Erinnerungsmal, ‚strategisch‘ und ‚taktisch‘ zugleich, wie der Autor Kassar darlegt, unterlaufen werden sollen. Das Angebot für die Besucher scheint beliebig angelegt zu sein, bis auf die Unruhe, die provoziert werden soll; zumindest der Tribut an ein Gebot zur Nicht-Bewältigung. – Allerdings ist dieses Projekt nicht in Österreich situiert.
Mithilfe unterschiedlicher Verfahren ist in diesem Band von Landschaften die Rede, sich verändernd, jedoch auch wie sie verändern, - und wie sie berühren. – Lediglich davon einmal abgesehen, bleiben sie ‚unberührt‘(, der Feststellung eines Beiträgers widersprechend: „Eine Landschaft strahlt nicht von selbst, […]“(S. 43).