Die Habsburgermonarchie 1848-1918
Band IX: Soziale Strukturen. 2. Teilband: Die Gesellschaft der Habsburgermonarchie im Kartenbild. Verwaltungs-, Sozial- und Infrastrukturen nach dem Zensus von 1910

Zu einem Gewinn der besonderen Art hat das Projekt geführt, der Verlockung nachgegeben zu haben, dem 'klein dimensionierten Experiment' (S. 7) im Beitragsband VII (Parlamentarismus) der Reihe 'Die Habsburgermonarchie 1848-1918', einer kartographischen Darstellung der Reichsratswahlen 1897, nun in dem aktuellen Band über die 'Sozialen Strukturen' ein bedeutend umfänglicheres hinzuzugesellen.

Die Veranschaulichung zeigt sich maßgeblich genährt von der Absicht, der Fülle an Quellenmaterial die 'Einheitlichkeit' und 'Konsistenz' (S. 7) zu sichern; besonders was die prinzipielle Vergleichbarkeit der ins Bild gesetzten Daten garantiert.

Der Wert der jetzt zu betrachtenden Zusammenschau, Synopsis, ja einer Art von sozialhistorischem Panorama ließe sich richtig einschätzen angesichts der eigentlichen Intentionen, Verfahrens- sowie Präsentationstechniken des Projektteams. Geboten werden soll 'eine Kombination zwischen wissenschaftlicher Edition im traditionellen Sinn (historische Topographie, Darstellung der Statistik in Kartenform) und der Rekonstruktion einer historischen Situation hinsichtlich politisch-organisatorischer Rahmenbedingungen (Verwaltung), der kulturellen (ethnischen, konfessionellen) Grundlagen, der Bevölkerungsentwicklung und der Siedlungsverhältnisse, der Berufs-, Erwerbs- und Kommunikationsstrukturen'(S. 11); verteilt in 12 Sachbereiche', beispielsweise auch Bodennutzung, Haushalte und Wohnungen, Bildungswesen, Militär, Eisenbahnen.

Alles in allem wird einem, in einer sonst womöglich überfordernden Weise, eine eingearbeitete so sehr wie bearbeitete Datenfülle offeriert, ein Darstellungsmodus, der gegenüber jenem in Beitragsbänden üblichen, nämlich dichten Ereignis- und Datenabfolgen geradezu eine Erholung an 'Lesbarkeit' darstellt:

So 'erkennt (man) [beinahe mühelos] Nachbarschaften und Distanzen sowie Vor- und Nachteile der Raumlage' (S. 29); einprägsam stellt sich einem die Tatsache dar: 'Nirgendwo in der Monarchie hatte man die gleiche Chance wie in den westlichen Kronländern, erst im Alter von über 60 Jahren zu versterben' (S. 116); überraschen könnte auch der Umstand, dass amtlicherseits die Bewohnerschaft der österreichischen und ungarischen Reichshälften einander als 'Staatsfremde' ansahen; wie überhaupt auf der Basis vieler Kenndaten sich hartnäckig die Beobachtung einstellt, dass es eine Grenze entlang von Triest ' Pozsony (Bratislawa) ' Krakau gab, mithin einen 'Dualismus' also in nicht nur staatsrechtlicher Hinsicht.

Der so kundige wie leicht verständliche Kommentar liefert ebenso einen bündigen Abriss der Kartograhiegeschichte wie Verständnishilfen, etwa zu Benennungsproblemen (der Ortsnamen) oder dem der sogenannten 'Gebürtigkeit' von Bewohnern.

1910 figuriert, außer der Gunst es als Veranstaltungsjahr der am meisten umfassenden bisherigen Volkszählungen bewerten, auswerten zu können, als 'Zäsur' (S. 11), eine als 'Spätgründerzeit' titulierte Epoche der Habsburgermonarchie. Geboten wird also ein 'Atlas zur Sozialgeschichte' (S. 15) einer Staatsformation, die gleicherweise auf ihrem Höhepunkt wie, interessant genug, in der Phase des Abtakts.

Es darf somit auf den eminenten Nutzen verwiesen werden, indem der vorliegende Band die Daten zu den sozial- und wirtschaftshistorischen Voraussetzungen von mittlerweile nicht weniger als sieben Staaten der EU (zusätzlich von vier Staaten in der Warteposition) beisteuert; somit beispielsweise vorzüglich geeignet ist zu Kalkulationen bezüglich früherer wirtschaftlicher 'Ansatzniveaus' in den jeweilig aktuellen Staaten.

Die Brauchbarkeit kartographischer Darstellung bezieht sich, wie Helmut Rumpler betont, auf eine im Rahmen der klassischen Hilfswissenschaft der Historik als einer 'Quelle' genauso wie einer 'Darstellung' 'im Sinne der historischen Methodenlehre' (S. 25). ' In dieser Doppelung, als Faktensammlung 'und' als zur Eigenaktivität antreibenden und anleitenden Präsentationsform, als Werkzeug, ermuntert der vorliegende Band dazu, sich auch selbst in die kreative historische Werkstatt zu begeben; schon deshalb ist er besonders tauglich für jegliche Form der 'kompetenzorientierten' Lehre.