The Archaeology of the First Farmer-Herders in Egypt
New insights into the Fayum Epipalaeolithic and Neolithic

N. Shirai setzt sich in der vorliegenden Publikation, seiner Dissertation an der Universität Leiden, mit der Frage nach der Neolithisierung in Ägypten auseinander, einem in der Ägyptologie lange recht stiefmütterlich behandelten Themenkomplex. Seit den von G. Caton-Thompson in den 1920er Jahren im Fayum geleisteten Pionierarbeiten, einer Synthese von W. Hayes aus den 60er Jahren, sowie den Arbeiten von Ginter und Wenke ist gerade den frühneolithischen Niltalkulturen nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Shirai legt nun durch erneute Feldstudien vor Ort und in diversen Museen, durch die Auswertung neuer 14C-Daten und Kalibrierung alter Werte eine neue Bewertung des gesamten Techno-Komplexes vor.
Im Laufe des 8.-7. Jt. v. Chr. lassen sich im Fayum erstmals auch Komponenten des sogenannten neolithischen Pakets, wie domestizierte Pflanzen- (z. B. Emmerweizen) und Tierarten (Schaf/Ziege u. Rind), nachweisen, die sogar in der Westwüste bereits etwas früher belegt sind. Erste Keramik kommt im Niltal jedoch erst im 6. Jt. v. Chr. auf. Problematisch ist bislang, vor allem aufgrund der geringen Datenbasis, welche Gründe und Umstände zur neolithischen Siedlungsweise im Niltal geführt haben und wie sich die damit verbundenen Kulturen chronologisch zu einander verhalten.
Aufgrund der materiellen Kultur ‒ vorwiegend aus bearbeiteten Silexwerkzeugen bestehend ‒ sowie neuer eigener Surveyforschungen kommt Shirai zu den im Folgenden kurz vorgestellten Ergebnissen.
Während man heutzutage zumeist die alte Terminologie von G. Caton-Thompson verwendete, die zwei frühneolithische Kulturphasen für das Fayum unterschied (Fayum-A- und Fayum-B-Kultur), kann allein aufgrund der Typologie der Steinwerkzeuge ein sehr viel differenzierteres Bild vorgelegt werden. Grob betrachtet lässt sich eine epipaläolithische von einer neolithischen Kultur unterscheiden. Die früheste bislang zu fassende Besiedlung der Fayumsenke lässt sich mit der Fazies/Kultur Qarunian (7530-6090 cal. B.C.) nachweisen (S. 46). Für diese epipaläolithische Besiedlungsphase im Norden des Fayum-Sees ist keine Keramik belegt, dafür aber diverse Knochenspitzen, mikrolithische Steinwerkzeuge und grob bearbeitete Gesteinsknollen. Die hier ansässige Bevölkerung lebte wohl vorwiegend vom Fischfang und der Jagd (S. 44-45). Die erste frühneolithische Kulturphase beginnt nach einem scheinbaren Hiatus mit dem Fayumian (ca. 5800-4260 cal. B.C.). In diese Phase gehören auch die berühmten von G. Caton-Thompson ausgegrabenen Befunde auf den Koms W und K. Die paläobotanischen Nachweise von domestiziertem Emmerweizen, sowie bifazial gearbeitete Steinklingen, die als Sicheleinsätze zu deuten sind, belegen nun erstmals den Ackerbau für Ägypten. Neben diversen Knochenprojektilen und knöchernen Harpunenspitzen gehört auch Keramik zum Inventar des Fayumian. Zudem zeigt die materielle Kultur eine Fülle an Rohmaterialien, die nicht aus der näheren Umgebung stammen, sondern teils aus Nubien und dem Sinai herbeigeschafft worden sind (z.B. Diorit, Türkis, Mollusken) (cf. S. 48).
Die beiden weiteren Phasen Moerian und Fayum Predynastic (ca. 4170-3360 cal. B.C.) sind möglicherweise als regionale Formen der im Delta ansitzenden Buto-Maadi- bzw. zur oberägyptischen Naqada-Kultur anzusehen ' eine genaue Zuweisung ist allerdings aufgrund der spärlichen Datenbasis auch im Rahmen der erneuten Beschäftigung durch Shirai nicht möglich geworden (zur Problematik: cf. S. 50-51). Für die Klärung dieser Aspekte ist sicherlich eine Vielzahl neuer Grabungen in der Fayumsenke vonnöten, um die stratigraphische Lage, als auch die materielle Kultur besser erforschen zu können. Problematisch bleibt, dass trotz der neu gewonnenen naturwissenschaftlichen Daten zwischen den einzelnen Kulturphasen weiterhin Hiati von teils mehreren hunderten Jahren klaffen, die bislang nicht schlüssig erklärt werden können. Es wäre daran zu denken, dass vor allem klimatische Ereignisse oder Schwankungen zeitweise Ab- und Zuwanderungen zur Folge hätten haben können, was aber, wie Shirai betont, eher unwahrscheinlich erscheint. Er spricht sich vielmehr für eine Kontinuität der Kulturen aus, die er mit der Typologie der Steinartefakte (Epipaläolithikum = Mikrolithen - Neolithikum = Klingen), die er als lineare Entwicklung interpretiert, absichern möchte (S. 61). Bedenkt man jedoch die auch hier noch recht schwache Datenbasis, muss die Frage m.E. bislang weiterhin offen bleiben. So kann, wie Shirai völlig zu Recht anführt, durchaus eine Forschungslücke dieses Phänomen bedingen (S. 54).
Im vierten Abschnitt/Kapitel seiner Arbeit geht Shirai auf die unterschiedlichen theoretischen Modelle zur Herausbildung neolithischer Lebensweise im Fayum ein. Dabei stellt er ein adaptives und ein sozioökonomisches Modell heraus. Während die älteren Werke zumeist Gründe wie Überbevölkerung und Hungersnöte bei den frühen Niltalbewohnern anführten (z. B. Wetterstrom 1993), hat Shirai anhand der neuen Datenbasis, sowie ethnographischer und sozialanthropologischer Ansätze eine Synthese erarbeitet. Dabei kommt er auf die bereits in Kapitel 2 eingeführten möglichen Gründe für die Neolithisierung zurück: 1) Klimawandel während des Holozäns, 2) demographischer Wandel, die Intensivierung der soziokulturellen und wirtschaftlichen Netzwerke eingeschlossen und 3) sozialer und symbolischer Wandel (vgl. S. 31).
Im fünften Abschnitt seiner Arbeit stellt der Autor neueste Feldforschungsergebnisse vor, die vor allem durch die Arbeit des UCLA-RUG Fayum Project gemacht werden konnten, welches seit 2003 an einer Neuaufnahme des Landschaftsraumes Fayum arbeitet (vgl. S. 119). Hierbei werden die alten Fundstellen und die derzeitige Situation aufgrund von Landwirtschaft und weiteren Geländenutzungen sowie die Möglichkeiten für neue Forschungen und Grabungen reflektiert. Dabei geht Shirai auch äußerst kritisch mit der Problematik der Benennung von 'archaeological sites' um, indem er die möglichen Gründe für die diversen Fundhäufungen - im verlandeten Seebereich vor allem durch Erosion verursacht - eingehend bespricht (bes. S. 127-131). Trotz unterschiedlichster Survey-Forschung sind für das Fayum bis heute nur ca. 150 Herdstellen und diverse Vorratsgruben belegt (S. 150), nach wie vor fehlen jedoch eindeutige Hinweise auf Hausbefunde, die ein permanentes Siedeln im Sinne von Sesshaftigkeit suggerieren würden. Dies hat dazu geführt, dass das Fayum-Neolithikum zumeist als ein Verband semi-nomadisch konzipierter/geprägter Techno-Komplexe gewertet wurde (z. B. Wetterstrom 1993, 191; Wengrow 2006). Shirai deutet nun Fundplätze mit einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Steingeräten als Indizien für eine permanente Siedlungsweise. Als ein weiteres Argument hierfür führt er das Jagdwildrepertoire und den hohen Prozentsatz an Fischknochen an, was eher auf eine Ansiedlung in Seenähe - ergo vor Ort - hinweist (S. 339). Dabei geht er aber durchaus davon aus, dass es möglicherweise Basiscamps und im weiteren Umkreis dazu kleinere Jagdlager gegeben hat, wobei die Basiscamps vielleicht den unterschiedlichen Erosionsvorgängen etc. zum Opfer gefallen sein könnten (S. 171-172). Wenngleich dieses Argument nicht in allen Punkten überzeugt, so ist es Shirai sehr zu honorieren, die umliegenden Wadis als Aktionsräume während des Neolithikums in Betracht zu ziehen, in denen es tatsächlich Spuren menschlicher Aktivität gibt (z.B. Wadi B cf.: S. 182).
Die beiden anschließenden Kapitel beschäftigen sich zum einen mit der Techno- und materiellen Steinkultur des Epipaläolithikums (Kapitel 6) und der des Neolithikums (Kapitel 7). Dabei kommen die gefundenen Inventare von Steinartefakten nach Fundstellen geordnet zur Ansprache und werden sowohl hinsichtlich Typen, als auch Herstellungstechnik analysiert. Diese beiden Kapitel können als besonders wertvoll angesehen werden, da es bislang das einzige Werk ist, das das entsprechende Material in dieser Weise vorlegt. Über die Fundstreuung der bearbeiteten Werkzeuge und der Identifizierung der Rohstoffquellen gelingt es dem Autor einen durchschnittlichen Aktionsradius für die betreffende Zeit zu errechnen, der für das Fayum-Neolithikum in jedem Falle mindestens zwischen 30-40 km bestanden haben dürfte (S. 289). Dies übersteigt die sonst angenommenen Radien von ca. 20-30 km, die von einem Menschen pro Tag bewältigt werden können. Shirai stellt daher ein Modell/eine Hypothese auf, der zufolge die Menschen zur Weidung ihres Hausviehs bis in das etwas abgelegene Gebiet vom Gebel er-Rus gelangten und vielleicht auch mithilfe der Tiere in der Umgebung vorhandene Rohmaterialien in das heimische Basiscamp transportieren konnten (S. 289).
Neben der Frage nach der Herkunft der einzelnen Rohstoffe spielt freilich auch die Veränderung der Werkzeugtypen eine große Rolle. Zum einen kann mit dem Neolithikum die bifaziale Bearbeitungstechnik verbunden werden, zum anderen sind die Gerätschaften, darunter Messer, Pfeilspitzen etc., sehr viel größer und schwerer als die Mikrolithen des Epipaläolithikums. Die Jagdwaffen werden hierbei mit einer verstärkten Jagd auf Großwild (z. B. Flusspferde) die Werkzeuge (z. B. Beile) mit dem gestiegenen Holzverbrauch für Töpferöfen, Werkzeug- und Waffenschäftungen verbunden (S. 304-306).
In Kapitel 8 kommt Shirai auf die Frage der Fernbeziehung zur Levante zurück. Denn offensichtlich sind nicht nur Schaf/Ziege und die Ackerpflanzen sowie diverse Rohstoffe aus diesem Gebiet ins Niltal gekommen, sondern auch einige der Steingerätschaften zeigen typologische Ähnlichkeiten auf - nur geschah dieser Austausch durch Handel oder gar Migration? (S. 312). Der Autor kann aufgrund besagter Ähnlichkeiten plausibel machen, dass wohl Tiere und Pflanzen spätestens im 6. Jt. v. Chr. aus der Levante nach Ägypten verbreitet worden sind. Zu dieser ersten Welle der Diffusion, wie Shirai den Akquisitionsprozess nennt (S. 315), gehören auch Steinwerkzeuge/-formen wie die Sicheleinlagen, Beilklingen, die sogenannten Helwan- und die Ounan-Spitzen - beides Leitfunde der betreffenden Zeit, deren Ursprung wohl aber in der Levante gesucht werden muss und die in Ägypten erst adaptiert worden sind (S. 323-326). Eine zweite Diffusionswelle lässt sich laut Autor schließlich durch die kleinen bifazialen, blattförmigen Projektilspitzen identifizieren, die wohl ebenso ursprünglich mit der Levante verbunden werden müssen. Dennoch spricht sich Shirai vehement gegen eine Kolonisierung des Niltals durch Anwohner aus der Levante im Zuge des sogenannten PPNB-collapse um 6900 v. Chr. aus (S. 330). Als Argumente dienen ihm dabei zum einen der Verweis auf die fehlenden Belege für Ackerbau und Viehzucht in Ägypten vor dem 6. Jt. v. Chr., sowie die fehlenden Nachweise zwischenmenschlicher Gewalt, die eine solche Kolonisierung hervorgerufen haben müsste (S. 331). Kritisch sei hier allerdings angemerkt, dass dies durchaus mit dem sonst vom Autor betonten Fundzufall zusammenhängen könnte. Migration, zumindest in kleinen Gruppen, lässt sich für Unterägypten nämlich letztlich aufgrund von Funden, als auch Befunden tatsächlich für das 6. Jt. v. Chr. (z. B. Lodiankultur, cf. S. 334, 338), als auch verstärkt für das 4. Jt. v. Chr. (z. B. Beersheba-Ghassulian-Kultur) nachweisen.
Abschließend muss betont werden, dass es sich bei diesem Werk um ein lang erwartetes und wichtiges Buch handelt, welches sich den einzelnen Problemen der Thematik sehr umfassend widmet. Die Fundstellen und Funde werden mitsamt ihren Charakteristika en detail beschrieben und mithilfe von Kartenmaterial und sehr guten Abbildungen vorgelegt. Die Arbeit zeigt zudem die Schwierigkeiten auf, die sich vor allem aufgrund der geringen Datenbasis ergeben und die weiteres Forschen - besonders auch im Hinblick auf die Feldforschung - nötig machen. Ein wichtiger Faktor, der bislang nur wenig Beachtung gefunden hat, ist beispielsweise der Zusammenhang mit den in der Westwüste beheimateten Siedlungsverbänden. Die Publikation ist damit ein wichtiges Standardwerk für das Fayumneolithikum und man kann hoffen, dass es weiteren Forschungen einen Anstoß gibt.

Der Band ist online unter https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/21366/file452851.pdf?sequence=1 abrufbar.