Le sacrifice humain en Égypte ancienne et ailleurs
Études d’Égyptologie 6

Themen wie Menschenopfer und Kannibalismus finden seit jeher großes Interesse in der breiten Öffentlichkeit und dienen nur allzu oft dazu, die Primitivität und Kulturlosigkeit fremder Völker und alter Kulturen zu beschreiben. So kann man sie heute noch häufig als Schlagworte publikumswirksam in der Tagespresse und in populärwissenschaftlichen Abhandlungen lesen. Umso erfreulicher ist es, dass es durchaus auch Arbeiten gibt, die sich, streng nach wissenschaftlichen Maßstäben, eben diesen Phänomenen nähern. Das anzuzeigende Buch untersucht die verschiedenen Aspekte des Menschenopfers und ihre verschiedenen Möglichkeiten, sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten, diese Kultpraxis im archäologischen Befund bei den verschiedensten alten Kulturen dieser Welt nachzuweisen.
Hierfür wurden verschiedene Arbeitsbereiche ausgewählt, die in 15 Artikel gegliedert sind: Fünf Beiträge befassen sich mit dem prädynastischen Ägypten (Crubézy; Midant-Reynes S. 58'81; Ludes; Crubézy S. 82'95; Baud; Etienne S. 96'121; Menu S. 122'135; Campagno S. 136'147), das somit auch gleichzeitig den Schwerpunkt des Bandes bildet, weitere Artikel entführen uns in den Sudan (Reinhold, S. 156' 163), nach Meroe (Lenoble, S. 164'179), nach Mesopotamien (Forest, S. 180'189), Indien (Carrin, S. 190'211), Polynesien (Valentin, S. 212'233), zu den Azteken (Johansson, S. 234'247), nach Sizilien (Guilaine, S. 248'255) und schließlich zu den Kelten bzw. Galliern, denen am Ende des Bandes zwei Beiträge (Brunaux, S. 256'273; Petit, S. 274'284) gewidmet sind. Dabei handelt es sich bei der Hälfte, der im Band abgedruckten Artikel, um solche, die bereits im Heft 10 des Magazins 'Archéo-Nil' erschienen sind.
Der erste Teil des Buches stellt kurz die theoretischen Grundlagen aus der Sicht der Archäologie, Ethnologie und Soziologie dar. Das Menschenopfer wird als eine Gabe angesehen, die, religiös motiviert, mit dem Tod des jeweiligen Individuums erreicht wird (S. 23 und 262). Der Beitrag von Testart, welcher einige neue theoretische Ansätze aufzeigt, befasst sich mit der Unterscheidung von Menschenopfer und Gefolgschaftsgrab. Seine Hauptquellen sind Herodot und Betrachtungen des skythischen und mongolischen Raumes, wo zwischen vier Arten von Gefolgschaftsgräbern differenziert werden kann: die Arbeiter, Diener/Sklaven, Frauen/Jungfrauen und schließlich die Gefangenen (S. 39). Diese Personen sind, so der Autor, allerdings nicht als Menschenopfer aufzufassen, da sie niemandem, keinem Gott etc. in concreto geopfert werden. Vielmehr verweist Testart darauf, dass diese Personen schon im Leben Eigentum des jeweiligen Herrschers waren und ihm somit nun auch im Tode, vergleichbar mit den Lieblingstieren, folgen. Es ist also kein religiöser Akt, sondern vielmehr dient das Ganze dem Komfort des Herrschers im Jenseits (S. 51). Dennoch ist es schwierig, diese Definition auf andere archäologischen Befund zu projizieren. Hier haben wir es doch zumeist mit schriftlosen Kulturen zutun und kennen den wahren Zusammenhang und das soziale Gefüge zwischen den in den 'Gefolgschaftsgräbern' Bestatteten und dem in der 'Primärbestattung' Liegenden nicht. Es ist daher fraglich, ob beispielsweise im Alten Ägypten im Falle von Abydos und Saqqara (vgl. S. 70) wirklich im Sinne Testarts von 'Gefolgschaftsbestattungen' auszugehen ist.
Die einzelnen Beiträge machen darauf aufmerksam, wie wichtig das interdisziplinäre Arbeiten zwischen Archäologen/Kulturwissenschaftlern und physischen Anthropologen ist, was in den vergangenen Jahren glücklicherweise immer mehr Anklang und in der Anwesenheit von Anthropologen auf den jeweiligen Grabungen Ausdruck findet. Es zeigt aber auch ein anderes, realistischeres Bild, von nur wenigen Befunden, die wirklich mit dem Thema Menschenopfer in Verbindung gebracht werden können ' und eben hier ist Vorsicht bei der Interpretation angebracht. Viele Anhaltspunkte wie gewaltsamer Tod, Bestattung mehrerer Individuen in einem Grab oder ein besonderer Ort der Bestattung (Berg, heiliger Wald etc.) können nicht per se als Anhaltspunkte für Menschenopfer gewertet werden. Eine genaue Betrachtung und Analyse des jeweiligen Befundes ist notwendig und damit verbunden ebenso die Diskussion anderer Möglichkeiten wie Krieg, Krankheiten, Unfälle etc. (vgl. S. 30).
Doch nicht nur die knöchernen Hinterlassenschaften unserer Vorfahren in den verschiedenen Teilen der Welt werden als Kronzeugen befragt, auch Schriftquellen, wie die antiken Autoren (z.B. Herodot) und die ägyptischen Elfenbeintäfelchen mit ihren piktografischen Darstellungen werden teilweise einer neuen, auch kritischen, Lesung und Deutung unterzogen (vgl. Menu, S. 122'135).
Das Buch ist, abschließend beurteilt, sehr empfehlenswert, da es sich umfassend und vor allem interdisziplinär, dabei kritisch, mit dem Phänomen des Menschenopfers beschäftigt. Die theoretisch gehaltenen Kapitel dienen dabei zugleich als ein guter Einstieg in das Sujet.