The Archaeology of Early Egypt
Social Transformations in North-East Africa, c. 10,000 to 2,650 BC

Ein Großteil der ägyptologischen Fachliteratur befasst sich zumeist mit den grammatischen Fragen und textlichen Quellen, dabei kommen die archäologischen Betrachtungen vor allem der Anfänge dieser faszinierenden Hochkultur meist zu kurz. Seit Michael Hoffmans 'Egypt before the Pharaohs. The Prehistoric Foundations of Egyptian Civilization' (London 1980) und Béatrix Midant-Reynes 'The Prehistory of Egypt. From the First Egyptians to the First Pharaohs' (London 2000) gab es lange Zeit kein aktuelles Referenzwerk mehr, das sich im Besonderen mit der Archäologie des frühen Ägypten auseinandersetzt. Dass sich aber gerade die Beschäftigung mit dieser Epoche als äußerst spannend und lohnend herausstellt, lässt das anzuzeigende Werk sehr deutlich erkennen.
Wengrow hat es sich zur Aufgabe gemacht, die wirtschaftlichen wie sozialen Veränderungen und Entwicklungen in Ägypten und seinen unmittelbaren Nachbarn zu analysieren (vgl. S. 5). Dabei wird eine enorme Zeitspanne von 10000'2650 v. Chr. betrachtet. Ähnlich wie Midant-Reynes und Hoffman stützt er sich auf die archäologischen Fakten, geht in seinen Interpretationen und Analysen durch Vergleiche aus der Ethnologie, Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte aber deutlich über diese hinaus. Dabei liegt das Augenmerk eher auf den rituellen und sozialen Transformationsprozessen, als auf den historisch-politischen Entwicklungen.
Die Publikation gliedert sich in zwei Hauptabschnitte: 'Transformations in Prehistory' (S. 11'123) und 'The Making of Kingship' (S. 125'258), die wiederum in verschiedene Kapitel unterteilt sind. Aufgrund der Komplexität der Thesen und Darstellungen Wengrows ist es dem Rezensenten nicht möglich, alle vorzustellen und kritisch zu betrachten, es folgt daher eine kurze Auswahl:
Der erste Teil des Buches ist vorwiegend den Transformationsprozessen während des Neolithikums bis in die Zeit von Naqada IID (circa 3300 v. Chr.) gewidmet. Hervorzuheben ist hierbei eine Neubewertung des ägyptischen Neolithikums als eine Zeit, die von einer primär pastoralen Gesellschaft bestimmt wird (S. 27; 45), die ihre Siedlungen nur saisonal aufsuchte. Eine Tatsache, die von der bisherigen Forschung zumeist übersehen wurde. Ebenso weist Wengrow darauf hin, dass das Wissen um Ackerpflanzen, deren Anbau, sowie die Domestikation verschiedener Tierarten nicht in Ägypten stattfand, sondern aus dem Nahen Osten im 7. Jt. v. Chr. übernommen wurde (S. 23). Anhand der verschiedenen archäologischen Befunde wie Siedlungen (Pfostenlöcher etc.), Depots und Gräbern zeigt Wengrow eine Entwicklung zur allmählichen Vereinheitlichung der kulturellen Vielfalt im Niltal bis hin zum Beginn des 4. Jt. v. Chr. (circa Stufe Naqada IIA'B) auf. Dabei behält er aber die Nachbarregionen immer im Blick und stellt fest, dass einige ägyptische Keramikformen ihren Ursprung sicher im Bereich der Levante und des Vorderen Orients haben (S. 36), was auch für das in ägyptischen Siedlungen wie Maadi verarbeitete Kupfer gelten dürfte (S. 34).
Neben dem Entwicklungsprozess des Siedlungswesens und der einzelnen technischen Fortschritte (Silexbearbeitung, Keramik etc.), betont Wengrow völlig zu Recht, es gelte ebenso die sozialen, soziokulturellen, symbolischen und rituellen Aktivitäten der betreffenden Zeitstufe zu untersuchen, denn auch diese sind entscheidende Motoren des Neolithisierungsprozesses (S. 66'69). Er argumentiert hierbei vorwiegend mit dem Material aus den Nekropolen: Anhand der in den Gräbern befindlichen Artefakte ist eine Stratifizierung der Gesellschaft möglich, die vor allem über die Beigabe von Statussymbolen 'symbols of authority', durch Fernhandel erworbene Prestigegüter (S. 73), erfolgt.
Von vielen Autoren (beispielsweise Kaiser, von der Way u.a.) wurde bisher die ab Naqada IIC'D verstärkt auftretenden oberägyptischen Produkte in Unterägypten als eine Ausbreitung der südlichen Naqada-Kultur angesehen, die mit Migration von Menschengruppen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen interpretiert worden ist. Wengrow stellt dagegen die These auf, es habe sich vielmehr um einen Austausch von Ideen gehandelt, der vor allem durch die Änderung der Ernährung mit Brot und Bier erfolgte (S. 89), die sich auch in der einer veränderten Keramikproduktion zeigt (S. 92'98).
Eine entscheidende Bedeutung in der Rituallandschaft kommt sicherlich den bildlichen Überlieferungen aus dem 4. Jt. v. Chr. zu, die von den frühen Bearbeitern Capart und Petrie im Vergleich mit ethnologischem Material als primitiv erklärt worden sind (S. 100'102). Wengrow gelingt es, die Mehrzahl der Bildmotive auf Keramik als auch in plastischer Form, mit dem menschlichen bzw. tierischen Körper in Zusammenhang zu bringen und deren Bedeutung für das Grab und Bestattungsritual zu eruieren ' er betont hier die Mehrschichtigkeit der prädynastischen Kunst (S. 107; 123).
Der zweite Abschnitt des Buches befasst sich mit der Herausbildung und Entstehung des Königtums und eines Staates, mit den Quellen der sich herausbildenden Elitekultur. Zu den bereits im ersten Teil analysierbaren Objektgattungen kommt nun eine weitere hinzu: die Schrift. Die betrachtete Zeitspanne, Naqada III, wird von Wengrow als 'Evolution of simplicity' bezeichnet. Der Schwerpunkt liegt, wie der Autor detailliert herausgearbeitet hat, nicht mehr auf der Formenvielfalt des Neolithikums, sondern auf der Massenproduktion und Standardisierung einzelner Formen (S. 151). In Ägypten findet eine 'interne Kolonisierung' statt, die sich vor allem im Beigabenspektrum der Gräber manifestiert. Es handelt sich hierbei um Hinterlassenschaften einer Elite, die über ein weitreichendes Handelsnetz und somit über allerlei Luxuswaren wacht (S. 159) und über Statussymbole wie Prunkkeulen, Messergriffe und Zeremonial-Schminkpaletten verfügt (S. 178). Auch in den Siedlungen ist diese Veränderung durch monumentale Lehmziegelbauten fassbar, ein Architekturnovum, das ' wie Wengrow richtig bemerkt ' zuerst im Grabbau Verwendung findet (S. 165). In Verbindung mit der Schriftentwicklung, den Siegeln und den jeweiligen bildlichen Motiven streift der Verfasser die Bedeutung des Vorderen Orients und Nubiens als eventuelle Ursprünge bzw. Impulsgeber für die ägyptischen Kunstausführungen. Mit den Siegeln und der Schrift hängt die Etablierung einer Administration zusammen, die von ihm im Gegensatz zu anderen Forschern als ein Resultat und nicht als Grund der Staatsformierung in Ägypten angesehen wird (S. 264).
Im letzten Abschnitt befasst er sich eingehend mit der bereits seit einem Jahrhundert andauernden Debatte über den wahren Bestattungsplatz der frühen Könige: Saqqara oder Abydos unter Einbeziehung der 'Talbezirke' (S. 226'258). In Bezug auf die gefundenen Namensinschriften von Herrschern und hohen Beamten folgt er der Meinung Kahls, man könne darin sowohl den Geber, als auch den Empfänger des Produktes vermuten. Somit ist durch die Siegelinschriften letztlich keine genaue Zuweisung eines Grabes zu einer Person möglich (S. 235) ' eine definitive Entscheidung trifft er nicht.
Es lässt sich feststellen, dass Wengrow eine Arbeit vorgelegt hat, welche die verschiedenen Facetten der Lebens- und Sterbewelt der frühzeitlichen Ägypter gut beleuchtet. Es handelt sich nicht um eine bloße Aneinanderreihung archäologischer Quellen, sondern auch um ihre Befragung hinsichtlich ihres rituellen, sozialen und technologischen Aussagewertes. Hierbei wird erfreulicherweise vielen bisher zumeist unbeachteten im Delta liegende Fundstellen Aufmerksamkeit gezollt (z. B. Farkha). Archäologische Befunde (z. B. U-j) werden nicht nur mit ihrer bestehenden Interpretation übernommen, sondern kontrovers diskutiert (S. 198). Dabei spielt auch eine völlig neue Herangehensweise über Vergleiche aus Nachbarwissenschaften wie der Soziologie, Ethnologie, Politik- und Geschichtswissenschaft eine entscheidende Rolle. Positiv hervorzuheben ist hierbei, dass der Umgang mit den ethnologischen Quellen ganz im Sinne Leroi-Gourhans äußerst kritisch und vorsichtig erfolgt. Der Blick auf die parallelen Entwicklungen in Mesopotamien, der Levante und Nubien, die teils etwas zu kurz angesprochen werden, runden die Darstellung ab. Die kleinen Einführungen und Resümees, die die einzelnen Kapitel rahmen, helfen dem Nichtägyptologen, die Übersicht zu behalten und stellen die einzelnen Thesen nochmals klar dar.
Bei allen oben angeführten Stärken des Buches soll dennoch bemerkt werden, dass die politische Entwicklung im Buch etwas zu kurz dargestellt wird. Außerdem datiert Wengrow König Nar(-meher) noch in die 0. Dynastie und nicht, wie seit dem Fund eines Annalentäfelchens nachgewiesen, in die I. Dynastie (so Cervelló-Autuori, Was King Narmer Menes? Archéo-Nil 15, 2005, 32'33) (vgl. Tab. 5). Doch diese Kleinigkeiten schmälern mitnichten den Wert und die Bedeutung dieser Publikation.
Dank der vielen Ansätze aus den Nachbarwissenschaften und die neue Herangehensweise an neues und bereits alt publiziertes Material stellt dieses Buch eine Fundquelle und Bereicherung für jeden dar, der sich mit der Entstehung von frühen Staaten und Gesellschaften interessiert. Es wird für die nächsten Jahre zu einem Referenz- und Standardwerk für die Archäologie des frühen Ägypten avancieren und sei dem Leser wärmstens ans Herz gelegt.