Kritik der Hirnforschung
Neurophysiologie und Willensfreiheit

Um den gesellschaftspolitischen Gehalt der Hirnforschung explizieren zu können, bedarf es akribischer Dechiffrierung. Im Unterschied zu den meisten Autoren, die das Problem der Willensfreiheit auf epistemologischer oder ontologischer Ebene verhandeln, bezieht Zunke die neurophilosophische Diskussion um die so genannte Willensfreiheit auf Staats- und Gesellschaftsphilosophie. Anders als gewohnt, ermahnt sie nicht, dass, wer nicht anders handeln kann als er oder sie es vom eigenen Gehirn vorgeschrieben bekommt, dafür nicht zu verurteilen sei. Dies stellt im Grunde eine Feinjustierung am Begriff der Strafe dar. Zunke sieht jedoch Gesellschaft insgesamt aus dem Ruder laufen, würde mit der neurowissenschaftlichen Behauptung, der Mensch sei nicht frei, ernst gemacht. Denn 'wo die Freiheit keine Objektivität hat, bedarf sie auch keines äußeren Garanten' (165). Folglich setzt Zunke viel daran, die neurophilosophische These von der Unfreiheit zu entkräften, um ein Gegenmodell zum drohenden neuronalen Kältetod des Politischen zu entwerfen.
So nimmt sie Singers biologistisches Menschenbild unter die begriffslogische Lupe (S. 56ff.) und weist nach, dass deskriptives Verfahren und normativer (moralischer) Anspruch, die mit seinem Menschenbild einhergehen, nicht ineinander überführbar sind. Der normative Anspruch, der für das biologisch erstellte 'Menschenbild' erhoben wird, kann mit den deskriptiven Mitteln der Biologie nicht begründet werden. Also wird im Rahmen der Phronesis mit biologischen Mitteln der biologische Diskurs verlassen. Dies wird aber nicht immer und nicht von allen Hirnforschern explizit gemacht. Schon allein diese Kritik genügt eigentlich einer Argumentation. Nicht ganz einleuchten hingegen will der Widerspruch zwischen 'Menschenbild' und 'Wesen des Menschen', den sie nachzuweisen sucht, da sie eine metaphorische Verwendungsweise des Ausdrucks 'Menschenbild' anscheinend nicht zulässt (S. 57). Dabei würde der Nachweis metaphorischen Redens einen weiteren Kritikpunkt darstellen, mit dem sich der Anspruch exakter Wissenschaft zumindest auseinander zu setzen hat. Ein weiterer Schwerpunkt im Rahmen der Kritik der Hirnforschung ist der begriffliche Umgang mit dem Ausdruck des Willens. Bereits hier führt sie den Leser auf die gesellschaftsphilosophische bzw. ideologiekritische Fährte, auf der sie Spuren der Hirnforschung liest, denn ein wichtiges Ziel ihrer Methode besteht darin, 'die Struktur einer Ideologie offen zu legen, die sich auch im reaktionären Alltagsbewusstsein findet ...' (S. 70). Für Roth scheint der Wille keine Angelegenheit der Kognition, sondern der Emotion zu sein. Sicherlich gehört zur Willensbildung ein volitives Moment, aber ob der Wille auf bloßes Gefühl reduziert werden kann, kritisiert Zunke zu Recht. Denn der Wille ist etwas, was gebildet wird, wenn wir etwa Maximen bilden und diese unser Handeln begleiten. Folglich charakterisiert sie Roths neurophilosophische Rekonstruktion des Willens als eine 'funktionale Lüge'. Insofern steht ihr der von ihr ebenfalls kritisierte Peter Bieri (S. 166ff.) jedoch näher, als ihr vielleicht lieb sein mag, da doch gerade er auf die Zerbrechlichkeit, Zeitlichkeit und Angeeignetheit des eigenen Willens als Akt der Autonomie insistiert; auch für Bieri ist der Wille nicht einfach da, sondern resultiert aus Vermittlungsprozessen der Person zu sich selbst und zu anderen als sozialer Kooperation.
Die Gleichsetzung von Freiheit mit Willensfreiheit moniert sie berechtigterweise, denn bewusstseinsphilosophische bzw. psychologische Erklärungen sind in der Regel (suggestive) Beschreibungen von Effekten, ohne auf die Bedingungen der Möglichkeit zu rekurrieren. In den letzten drei Kapiteln lässt Zunke ' nach ausgiebiger Kritik an bewusstseinsphilosophischen Freiheitsbegriffen ' auch die philosophische Katze aus dem Sack und zeichnet präzise Parallelen zwischen neuronalen und ökonomischen Täuschungen über Freiheit nach, obwohl nicht ganz deutlich wird, wie der Begriff der Freiheit zu begründen oder zumindest zu rechtfertigen sei. Einen Dualismus schließt sie jedenfalls aus. Und da sowieso schon von gesellschaftlichen Verhältnissen die Rede ist, schlägt sie vor, wie die vieldiskutierte Lücke zwischen Materie und Geist geschlossen werden könne. Als Übergang zwischen Materie und Geist sieht sie den Begriff der Arbeit, der zwischen dem  Reich der Form und des Intelligiblen sowie dem Materiellen und der Kausalität vermittle. Dies stellt sicherlich einen originellen Beitrag dar, der genügend Stoff für eine weiterführende Diskussion bietet, der sich Neurowissenschaftler wie Niels Birbaumer wohl nicht verweigern würden, denn sie vollbringen etwa im Bereich der Neurotheraphie mit Epilepsie-Patienten eben gerade diese Vermittlung von Kausalität und Freiheit.