In der Diskussion über ein mögliches Menschenbild als kohärentes systematisches Wissen vom Menschen ist der so genannte Naturalismus ziemlich einflussreich. Zahlreiche Beiträge zur Naturalismusproblematik in anthropologischer Hinsicht befassen sich mit zumeist neurobiologischen Thesen, die auf einem brüchigen Fundament ruhen. Umso erfreulicher, wenn nach der Möglichkeit der Naturalisierung des menschlichen Geistes gefragt wird, ohne auf die der Öffentlichkeit bekannten Vertreter neurobiologischer Provenienz zu rekurrieren. Naturalismus wird also nicht mehr als Popanz aufgebaut, sondern als Herausforderung für aufklärerisches Denken erörtert. Mit dem Sammelband 'Natürlicher Geist' verlassen die Herausgeber Becker und Detel also den Schauplatz des Weltanschaulichen und wenden sich dem Philosophieren zu. Man muss kein Naturalist sein, um die Argumentationen für einen moderaten sowie methodisch verorteten Naturalismus als plausibel und vernünftig anerkennen zu können. Orientierungspunkte stellen für die unterschiedlichen Fragestellungen vor allem die Begriffe der Sprache, des Verstehens und der Normativität dar.
Professionelles Verstehen im Sinne der Hermeneutik ist auch ein Gegenstand in Detels Aufsatz, in dem er die Frage nach der Möglichkeit der Naturalisierbarkeit eben jenes professionellen Verstehens am Problemfall der naturalistischen Hermeneutik erörtert. Mag das Verstehen genetisch seine Kontinuität mit dem Sublinguistischen haben, so ist aber die Geltung propositionalen Verstehens, welches von der klassischen Hermeneutik thematisiert wird, nicht einfach im Sinne nomologischer Erklärungen zu naturalisieren. Wer Interpretation im Sinne der Hermeneutik als durch die Kognitionswissenschaften nomologisch begründen möchte, begeht in Detels Augen eine 'petitio principii' (S. 37). Für eine evolutionäre Kontinuität der Sprache ' zumindest in genetischer Hinsicht ' argumentiert Michael Kohler. Sein Ansatz versucht, Davidson mit Chomsky zu vereinen, indem er nach den universalen Bedingungen von Sprachverstehen fragt. Anders als Chomsky aber geht es Davidson nicht um Universalien des Sprachverstehens, sondern schlichtweg um die Universalität des Verstehens von Sprachen überhaupt (S. 103f.). Auch wenn menschliche Sprache evolutionsbiologisch eindeutbar ist, so betont Kohler, dass geteilte Aufmerksamkeit 'auch ein gewisses Maß an Sozialität und praktischem Entgegenkommen' (S. 111) voraussetzt. Nicht unproblematisch ist jedoch die Rede von einer Musicosprache (S. 148f.), da somit ein akustisches Verhalten mit einer sozialen Praxis kurzgeschlossen wird. Mag die menschliche Sprache phylogenetisch auf Protosprachen rückführbar sein, wie sie etwa Primaten zugeschrieben werden, so stellt sie dennoch ein exklusives Merkmal in anthropologischer Hinsicht dar; hier wird betont, dass nur die menschliche Sprache Referenz auf abwesende Gegenstände oder Personen ermögliche. Als nahezu 'exotisch' kann der Beitrag 'Der Naturalismus in der Philosophie der Sozialwissenschaften' von Ralph Schrader gelten, nicht weil er von argumentativen Standards abweichen würde, sondern weil dieser Beitrag rein wissenschaftstheoretischer Natur ist. Zudem ist auch der einzige, der die Rede von der 'zweiten Natur' bemüht. Zu dieser Thematik finden sich in dem insgesamt äußerst informativen Sammelband indes recht wenige Überlegungen; und das Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur erscheint etwas unterbelichtet. Implizit spielt dieses Spannungsverhältnis jedoch eine wichtige Rolle schon allein auf Grund der, wie Gerson Reuter herausstellt, 'radikal verschiedenen Vokabulare' (S. 95), die eben auch der Grund dafür sind, dass der Naturalismus allein konstitutive Aussagen nicht mehr begründen kann. Dies ist auch für Becker der Grund für die begrenzte Reichweite auch eines undogmatischen Naturalismus (S. 261f.), dessen ergänzendes Gegenstück eigentlich ein undogmatischer Kulturalismus sein müsste.
Der moderate oder auch undogmatische Naturalismus, wie er von den Autoren im Hinblick auf unterschiedliche Fragestellungen skizziert wird, darf als der Aufklärung verpflichtet bezeichnet werden, da er, anders als dogmatischer Naturalismus, nicht mit Eventualitäten in der Entwicklung der Naturwissenschaften liebäugelt, sondern seine eigenen Möglichkeiten wie auch Grenzen reflektiert.