Ralf Georg Reuth, bislang vor allem als Goebbels-Biograph und Herausgeber einer umstrittenen Ausgabe der Goebbels-Tagebücher bekannt, geht in seinem neuesten Buch der Frage auf den Grund, wann und wodurch Hitler zum Judenhasser wurde und kommt dabei zu einer Antwort, die im Gegensatz zu den meisten etablierten Hitler-Biographen steht: Hitler war keinesfalls schon, wie er in 'Mein Kampf' glauben machen wollte, in Wien Antisemit, sondern entdeckte den Judenhass 'erst' 1919 in München für sich.
Minutiös arbeitet sich Reuth durch die bekannten Quellen und Darstellungen, um seine überraschende These zu unterfüttern. Das ist nicht immer leicht zu erkennen, weil Reuth zu überzogener Polemik neigt, vor allem Ian Kershaw wird stereotyp am Ende jeden Kapitels angegriffen. Bisweilen baut er potemkinsche Dörfer auf, um diese mit großer Geste einzureißen und sich zum Tabubrecher zu stilisieren, was schon die reißerischen Kapitelüberschriften zeigen: 'Das Unerhörte', 'Die heruntergespielte Tatsache', 'Das Tabu' etc. ' ganz so als habe man es mit einer Verschwörung der bisherigen Hitler-Forschung zu tun.
Das alles außer Acht gelassen, bietet Reuth interessante neue Einsichten, die zumindest nachdenkenswert sind. Hitler habe, bis er nach München kam, gute Erfahrungen mit Juden gemacht, sei es in Wien oder auch im Ersten Weltkrieg. In München nach dem Krieg habe Hitler Sympathie für die Revolutionäre empfunden, wobei Reuth hier bisweilen sehr spekulativ und ohne Belege argumentiert.
Der Umschwung kam Reuth zufolge im Mai 1919, als die Münchener Räterepublik niedergeschlagen und die Regelungen des Versailler Vertrags bekannt wurden. Diese Gemengelage ließ Ängste und Irrationalismus zu neurotischen Dimensionen anschwellen und brach den weitverbreiteten Vorstellungen vom 'jüdischen Bolschewismus' die Bahn, die fortan Hitlers Programm bestimmen sollten.
In den nun folgenden Kapiteln schildert Reuth, inwieweit Hitlers Judenhass Politik, Strategie und Kriegsführung bestimmten und schließlich in die organisierte Ermordung der europäischen Juden mündete. Die Darstellung gerät hier absolut hitlerzentriert, auch sprachlich; man wundert sich, dass Eberhard Jäckels einschlägiges Buch 'Hitlers Herrschaft. Vollzug einer Weltanschauung', dessen Kernthese Reuth in diesen Kapiteln aufwärmt, nur in einer Fußnote allgemein angeführt wird.
Reuth präsentiert ein gut lesbares Buch mit einer interessanten Erkenntnis, auf deren Durchschlagkraft er besser hätte vertrauen sollen, anstatt sich den Mantel des Tabubrechers überzuziehen und sich in penetranter Polemik gegen Ian Kershaw und andere zu ergehen.