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Kulturgeschichte - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Kulturgeschichte
Eine Einführung

Mit Befriedigung haben historisch Interessierte zur Kenntnis genommen, dass nach einer Empfehlung des Wissenschaftsrats 1992 zur Umstrukturierung der Universitäten in den neuen Bundesländern diese überall zur Einrichtung der Fachrichtung Kulturgeschichte aufgefordert wurden. Dieser Weisung sind bis jetzt an ältere Traditionen anknüpfend Leipzig, Frankfurt /oder und Jena gefolgt, wo das Fach schnell steigenden Zuspruch bei den Studierenden fand. Dieses Taschenbuch bietet nun für sie einen kompakten Grundkursus in die komplexe und für Anfänger zunächst schwer überschaubare Kulturgeschichte. Dieser ist inhaltlich so verlässlich und didaktisch gut überlegt gegliedert, dass auch die Seminare verschiedener Disziplinen an den Hochschulen in der alten Bundesrepublik davon profitieren können.
Das in seiner Zielrichtung neue Lehrbuch gibt zunächst eine Einführung über die Entstehung des Begriffes Kultur und einiger daraus hervor wachsender Theorien, wobei z.B. der Gegensatz zum ebenso bekannten Terminus Zivilisation jedem Leser schnell einsichtig wird. In den folgenden Kapiteln werden folgende zentrale Bereiche menschlicher Kultur vorgeführt: Erinnerung, Sprache, Schreiben und Lesen, weiter ihre institutionellen Überlieferungen und Einbindungen in Medien, Zeit und Raum. Es folgen dann Erörterungen kultureller Aspekte von Kirchen und Konfessionen, ferner der Kultur an Fürstenhöfen, beim städtischen Bürgertum und zuletzt Betrachtungen der europäischen Kultur sowie zum Kulturaustausch der Nationen.
Verständlicherweise will der Verfasser hier keine Übersicht über die vielfältigen interdisziplinären Zusammenhänge kultureller Theorien geben, da diese ein Basiswissen voraussetzt, das Anfänger noch nicht besitzen kann. Er beschränkt sich daher nur auf erste paradigmatische Einblicke in einige hochkomplexe Gedankengebäude. Diese werden aber durch gut ausgewählte längere wörtliche Zitate aus zeitgenössischen Quellen in besonderer Schriftform hervorgehoben untermauert, die Maurer in heutige in Sprach- und Denkweisen übersetzend in den Kernaussagen kommentiert. Ebenso ist bemerkenswert, dass jedem Kapitel kurze Anregungen zur vertiefenden Weiterarbeit angehängt werden. Sie verweisen auf vertiefende Möglichkeiten der Lektüre, der Niederschrift von Erinnerungen, der Beantwortung eines Fragebogens, eigene Einschätzungen und terminologische Folgerungen.
Der Rezensent hält es angesichts der Zielsetzung dieses Buches für unangebracht,
auf vorhandene Wissenslücken bei dieser Kurzfassung der Genese und der Theorien der Kultur hinzuweisen. Bei der noch notwendigen weiteren Wiederbelebung des an sich ja recht alten Zweiges der Kulturgeschichte am Baum der Geschichtswissenschaft wäre es aber begrüßenswert, wenn der Verfasser in einem neuen Lehrbuch für die fortgeschrittenen Studierenden noch intensiver eingehen würde auf die notwendigen Verflechtungen der Kulturgeschichte nicht nur wie hier mit Philosophie, Soziologie, Psychologie und Linguistik, sondern auch mit der Ethnologie/Volkskunde, Demographie, Geographie und Sozialanthropologie, ferner mit der besonders eng verwandten Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und vielleicht selbst mit den inzwischen hoch entwickelten Fächern der Technik- und Medizinhistorie. Die Kulturgeschichte als gleichsam überwölbendes Dach aller geisteswissenschaftlichen Disziplinen würde z.B. die häufigen wissenschaftlichen Kontroversen und Suche nach den wirklich entscheidenden Zäsuren in der Wissenschaftsgeschichte besser markieren helfen.
Eine wesentliche Hilfe könnte dabei eine konsequente Einbeziehung des Kulturgeschichte des menschlichen Alltagslebens bringen, die mit ihren innovativen Fragestellungen, Theorien und Methoden (z.B. durch die Auswertung ganz neuer Quellenbereiche) der menschlichen Bewusstseinsgeschichte im kulturellen Sinne schon zahlreiche neue Akzente verliehen hat. Die Entwicklung der alltäglichen Sprachauffassung im 20. Jahrhundert, die Erweiterung der Sprachphilosophie durch Bildanalysen und damit der Funktion der Interdependenzen zwischen Sprache, Ratio, Wissen und Phantasie im historischen Alltag würde neue grundlegende Einsichten vermitteln. In einem solchen Fortsetzung müssten primär auch die alltagstäglichen früheren kulturellen Bezüge der menschlichen Ernährung, Kleidung und Wohnens als überall und jederzeit existente Grundbedürfnisse ebenso ihren gebührenden Platz finden wie die darauf aufbauenden differenten Beziehungen der Geschlechter und Familien. Diese Ratschläge dürfen nicht als Kritik an diesem nützlichen Einstieg in ein so schier übersehbares Problemgefilde verstanden werden.