Alltags- und Festtagspeisen in Mitteleuropa
Innovationen, Strukturen und Regionen vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert

Die mit einem präziseren Titel und einer umfänglichen Nachschrift versehene Neuauflage dieser Habilitationsschrift von 1967 wird lebhaft begrüßt, da sie in der  zentraleuropäischen volkskundlichen Nahrungsforschung eine bis heute fortwirkende methodische wie inhaltliche Wende einleitete, welche besonders die Kulturgeographie und Kulturgeschichte berührte. Überall ging man seitdem in der noch dunklen Geschichte der menschlichen Ernährung vom empirischen Faktensammeln erstmals zur vergleichenden theoretische Analyse über. Durch die fast einhellige positive  Bewertung dieses Buches fühlte sich der Rezensent bei seiner etwa gleichzeitig unabhängig gestarteten historischen Nahrungsforschung ermutigt, zusammen mit Wiegelmann dann seit den 1970er Jahren in geistiger Verwandtschaft zwei weitere Bücher zu diesem Themenbereich zu publizieren. Natürlich konnte Wiegelmanns beim ersten Vorstoß in eine terra incognita angesichts der unübersichtlichen Riesenfülle von regional wie sozial differenzierten Nahrungsmitteln, Speisen und Mahlzeitgewohnheiten paradigmatisch zunächst nur einige Aspekte zusammenhängend über ein halbes Jahrtausend hinweg akribisch verfolgen. Entscheidend für seine Auswahl waren hier die Stellung der Mahlzeiten im jeweiligen Gesamtgefüge der Ernährung sowie die Möglichkeit, die den Nahrungsstrukturen des 20. Jahrhunderts vorangehenden älteren innovativen Wandlungsprozesse transparent zu machen.

Wiegelmann behandelt nach einer Übersicht über den Wissenstand um 1960 zunächst die großen Perioden des Wandels der Speisesitten, dann die Kartoffel und Hirse als Grundnahrungsmittel mit ihrer variierenden Stellung beim Verzehr, ferner die Ausbreitung des Kaffeetrinkens und der Klöße/Knödel sowie schließlich frühere Fleischzubereitungen und ihre Eingliederung in die Speisefolgen. Der um 1930 erreichte Stand des Wandels der  Nahrungsgewohnheiten  seit etwa 1900 wird dabei durch Karten erstmals veranschaulicht, die auf damaligen Befragungen zum 'Deutschen Volkskundeatlas' beruhen. Alle früheren rein quantitativen Konsumberechnungen durch die Nationalökonomie haben dadurch eine wesentliche neue qualitative Ergänzung erfahren.

Wiegelmann konnte sich bei diesem Neudruck nicht mit dem Fortschritt der ganzen kulturhistorischen Nahrungsforschung der letzten fünfzig Jahre beschäftigen, hat aber in seinem Postscript einige Stellen in den Rezensionen seines Buches kommentiert. Hier kann auf Wiegelmanns Kritik an einzelnen Einwänden natürlich nicht eingegangen werden. Auch der Rezensent verzichtet darauf, seine divergierende Meinung über die Diffusion des frühen Kaffeekonsums hier zu verteidigen. Als positiv ist aber zu betonen, daß die Aufzeichnung des wissenschaftlichen Disputs über diese akademische Meisterleistung  nochmals demonstriert, wie viele Türen Wiegelmann in der europäischen Gelehrtenwelt damals aufgestoßen hat. Wichtig ist es freilich auch für ihn heute geworden, daß die volkskundliche Nahrungsforschung noch konsequenter Problemstellungen, Methoden und Resultate ihrer Nachbardisziplinen mitverarbeiteten sollte. Eine neue Zusammenfassung der heutigen europäischen culinary culture-Forschung erscheint dazu erforderlich.