Attraktion und Abwehr
Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa

Die von dem Volkskundler Wolfgang Kaschuba (Humboldt-Universität Berlin) seit 1998 mit seinem Stab edierte Reihe 'Alltag & Kultur' hat sich bisher in zehn sehr originellen Bänden jenseits der viel beackerten großen politischen Themenfelder erstmals gezielt mit den geistigen und emotionellen Denkweisen innerhalb der DDR-Bevölkerung anhand ausgewählter zeitgenössischer Überlieferungen beschäftigt. Wie notwendig diese Analysen sind, zeigt z.B. der 5. Band der von dem Historiker Hans Ulrich Wehler gerade vorgelegten Gesellschaftsgeschichte Deutschlands, in dem neben Nachzeichnungen der großen realen sozialen Strukturwandlungen jede Aufhellung solcher individuellen Alltagskultur fehlt.

In diesem neuen Buch haben nun eine Linguistin und ein Sozialhistoriker, beide an der Universität Zürich lehrend, die Resultate neuer Forschungen gesammelt, welche sich diesmal mit dem schon lange diskutierten Problem der Amerikanisierung Europas und damit auch Deutschlands im 20. Jahrhundert beschäftigen. Wie die vergleichende Betrachtung zeigt, hat nach wichtigen und oft übersehenen Vorläufern die große Beeinflussung des Bewusstseins durch den 'American way of life' überall erst in den 1950er Jahren massenhaft und sich schnell ausdehnend eingesetzt. Die Beiträge gehen multiperspektivisch nicht nur den ambivalenten Anregungen und dem damaligen ersten subjektiven Verständnis nach, sondern auch dem dadurch ausgelösten Gedankenaustausch und späteren Rückkoppelungen präzise nach.

Es gibt bereits eine Vielzahl wissenschaftlicher Monographien, die einzelnen amerikanischen Einflüssen in der täglichen Sprache und Bilderwelt, primär in den Massenmedien, aber auch in den Künsten wie Literatur, Theater, Musik und Architektur nachgegangen sind, wie hier exemplarisch vorgeführt wird. Dem Wissensdurstigen wird so die Lektüre zahlreicher einschlägiger Schriften zunächst erspart.

Diese wertvolle Zusammenschau der amerikanischen Effekte auf das Alltagsleben räumt mit mancherlei schrecklichen Simplifikationen von Sachverhalten auf und zeigt, wie die Anziehungs- und Abwehrkräfte bei diesem riesigen Kulturtransfer bewertet werden müssen. Freilich muss das Phänomen der Amerikanisierung in jedem Staat Europas schon wegen der politischen Veränderungen etwas anders betrachtet werden. Im lange geteilte Deutschland zeigen sich geradezu paradigmatisch die verschiedenen Amerikabilder in
Europa. Ein spezieller Vergleich beider deutscher Staaten hätte gerade in dieser Schriftenreihe eigentlich nahe gelegen.

Es ist hier nicht möglich, die Einzelheiten der Rezeption der von den USA eindringenden Kulturelemente vorzustellen. Dem älteren Leser, wozu auch der Rezensent gehört, fällt noch eine Fülle von weiteren amerikanisierenden Aspekten ein, die er selbst zunächst zustimmend oder ablehnend durchlebte und teilweise heute noch als kultureller Fremdkörper erkennt.