Beschreibung des Menschen

An Familienkrach unter Phänomenologen könnte man beim Lesen der ersten Seiten der 'Beschreibung des Menschen' denken, da Blumenberg sich dem von Husserl verhängten Anthropologieverbot widersetzt. Könnte es ' entgegen Husserls Selbstverständnis ' nicht sein, daß die Phänomenologie für die Anthropologie relevant ist? Und könnte es nicht sein, daß die Anthropologie für die Phänomenologie relevant ist? Blumenberg konnte dder Versuchung nicht widerstehen und entwarf das Projekt einer 'phänomenologischen Anthropologie', wie der Titel des von Manfred Sommer postum veröffentlichten Manuskripts 'Beschreibung des Menschen' ursprünglich lautete. Auf gut neunhundert Seiten legt Blumenberg dar, wie eine 'phänomenologische Anthropologie', die sich neben einer 'Bild- Anthropologie', 'literarischen Anthropologie' und 'historischen Anthropologie' verortet, methodisch vorbereitet und durchgeführt werden kann.
Eigenleib und Fremdwahrnehmung können, folgt man Blumenbergs Gedanken, in den Horizont einer Phänomenologie nur dann unfallfrei gelangen, wenn diese Begriffe antropologisch vorbereitet werden. Für manchen mag dies eine Zumutung in der Methode darstellen, aber gerade vor dem Hintergrund der Lebenswelt müsse der Phänomenologe den Menschen thematisieren und die Frage nach ihm stellen. Wer als Phänomenologe darauf verzichte, der beraube sich der Chance, aus der Aporie des drohenden Solipsismus zu geraten.
'Wer den Positivismus bevorzugt, lebt ärmlich, wer sich von ihm entfernt, lebt gefährlich' (S. 481). Eine bisher verschwiegene Zumutung und Beleidigung ereilt den Menschen von der Phänomenologie, indem sie seine Leiblichkeit nicht anerkennt, dafür seine Rationalität hypostasiert. Der Mensch ist nicht zivilisierter Affe (Darwin) und auch kein Triebbündel (Freud), sondern bloßer 'Funktionär der Vernunft' (S. 81), also nur noch ihr Organ. So betrachtet, rekonstruiert Blumenberg eine negative Anthropologie bei Husserl; doch will er die Phänomenologie in anthropologischer Hinsicht konstruktiv einsetzen.
Im durchführenden und zweiten Teil der 'Beschreibung des Menschen' betreibt Blumenberg eine phänomenale Analyse der Leistungen, die allein dem Menschen zugeschrieben werden können ' so auch die Trostbedürftigkeit, die exklusives Merkmal des Menschen ist. Und nicht nur dies, denn auch die 'actio per distans' als 'Vernunft in Reinkultur' (S. 601) ist eine Leistung, zu der ' soweit man zu wissen meint ' allein der Mensch fähig ist. Es ist genau dieser funktionale Aspekt, der die Brücke zurück zur Phänomenologie schlägt. Im Ansatz erinnert Blumenbergs Methode an Ernst Cassirer, der den Menschen ebenfalls funktional betrachtet und somit einer Ontologie entgeht. Und es ist genau die methodische Vorrangigkeit der Leistung, die verhindert, daß der Rekurs auf den Leib in reduktivem Naturalismus endet. Wer sich mit Phänomenologie oder Anthropologie beschäftigt, sollte also auf keinen Fall vor der Versuchung einer 'phänomenologischen Anthropologie' zurückschrecken.