Briefwechsel erzählen Geschichten ' natürlich nur inszenierte, wie der gebildete Literaturwissenschaftler sofort einwenden wird, doch schmälert das den Wert solcher Lebenszeugnisse nur bedingt, denn sie lassen trotzdem Rückschlüsse auf die jeweiligen Autoren und mithin ' mal mehr, mal weniger ' auch auf ihr literarisches Schaffen zu. Gewiss, biographische Zugänge sind zurzeit nicht gerade populär (um das Mindeste zu sagen), und das auch nicht ganz zu unrecht, wenn man positivistische Faktenhuberei vor Augen hat, die nur noch wenig mit dem Werk selbst korrespondiert. Doch helfen gerade intensive Blicke auf die 'hermeneutischen Aktivitäten bei der Texterzeugung', wie das James E. Young so herrlich sperrig nennt, um auch formale Befunde abzusichern ' oder gar erst auf sie aufmerksam zu werden. Ein gutes Beispiel gibt hier der vorbildlich edierte Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Walter Kempowski: Wer hätte z.B. gedacht, daß Johnson auf die Gestalt von Kempowskis drittem Roman 'Uns geht's ja noch gold' massiv Einfluß zu nehmen versuchte und dabei auch gewisse Erfolge erzielte? Johnson ist dabei ein harter, fast ein wenig unerbittlicher Kritiker an Kempowskis neuem Werk. Nicht nur deckt er auf, daß sich einige Stellen in 'Gold' mit anderen in den beiden vorangegangenen Werken widersprechen, nein, er hat fundamentalere Bedenken: 'Auswucherungen Ihres Sprechstils' (S. 56) stören ihn, Wiederholungen und selbst der geplante Titel behagen ihm nicht. Mehr noch: durch die Blume deutet er an, daß Kempowski mit seinen bisherigen künstlerischen Mitteln nicht mehr weiterkommen werde. Sein Fazit liest sich daher ' nicht nur für Walter Kempowski ' erschreckend deutlich: 'Solange das Buch in diesem Zustand ist, sollte dem Verfasser von einer Veröffentlichung abgeraten werden. Er kann seine Sache besser, als hier zu sehen ist.' (S. 59) Kempowski ist ob dieser harschen Zurückweisung erkennbar verschreckt, sicher auch gekränkt, und doch nimmt er Johnsons Kritik sehr ernst. Nicht nur befolgt er dessen Ratschlag, in 'Gold' ganz am Ende jenen Absatz einzufügen, der bereits den Auftakt für seinen ersten Roman 'Im Block' bildete, um so die chronologische Abfolge der Romane transparent zu machen, acht Jahre später bekennt er freimütig: 'falsch war, nicht mehr von dem zu berücksichtigen, was Sie rieten' (S. 98). Das feine, weil unprätentiöse, Nachwort der beiden Herausgeber erklärt, warum der Lektoratsversuch Johnsons letztlich zu einem Bruch in der (weiterhin aber respektvoll geführten) Beziehung führen mußte: Johnson sah in diesem Vorgehen einen besonderen Vertrauensbeweis ' Ähnliches praktizierte er entschieden erfolgreicher mit Max Frisch ', den Kempowski nicht ausreichend zu würdigen wußte. Kempowski hingegen hatte fortan 'immer etwas 'Schiß' vor Ihnen' (S. 82) und vermied es, mit seinem Briefpartner aneinander zugeraten. Gleichwohl vertrauten sich beide ' nach einer längeren Unterbrechung ' bis 1983 immer wieder kleinere Begebenheiten aus ihrem Privatleben an, führten sich gegenseitige vor, wie sie unter dem Literaturbetrieb im Allgemeinen und 'Fritzchen Raddatz' (Johnson) im Besonderen litten. Zu einer intensiven persönlichen Begegnung kam es freilich nicht mehr ' Kempowski will oder kann Johnson aus verschiedenen Gründen in England nicht besuchen und dieser wiederum wollte nicht nach Nartum zu Kempowskis diversen Literaturveranstaltungen reisen. So endete diese literarische Beziehung letztlich in der 'traurigste[n] Geste dieses Briefwechsels' (S. 140): Johnson ' in finanzielle Bedrängnis gebracht ' fragt Kempowski, ob er nicht einen Sammler kennte, der ihm seine Mecklenburgiana abkaufen würde.
Der Band ist eine Bereicherung für die Johnson-Forschung, mehr aber noch für die sich erst langsam (und, recht eigentlich, fast zu spät) entwickelnde Kempowski-Philologie. Er macht deutlich, wie viel hier noch zu tun ist.