Als Poesie gut
Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807

Es gibt seit langer Zeit das Klischee, Sachbücher wären in Deutschland zum einen schlecht (sprich: zu komplex, zu langatmig) geschrieben und daher zum anderen wenig gefragt. Da ist, natürlich, einiges dran, gerade wenn man nach Großbritannien blickt und sich anschaut, wie erfolgreich in diesem Genre gearbeitet werden kann. Und doch gibt es selbstverständlich immer wieder Gegenbeweise: Günter de Bruyns fabelhafte Darstellung der zwanzig Jahre nach dem Tod Friedrichs des Großen gehört zweifellos dazu. Über das Buch läßt sich nur das Beste sagen: Es ist ein großartiger Reisegefährte, spannender Bettgenosse und zuverlässiger Studienführer.

Liebevoll und mit großer Sachkenntnis entfaltet de Bruyn hier das Panorama einer Epoche, die für Deutschland so große Bedeutung haben sollte. Dabei nimmt der Autor immer eine der in Kunst, Wissenschaft und Militär bedeutenden Personen genauer in den Blick, entwirft ' nicht selten auch mit sanfter Ironie ' ihre Eigenheiten und ihren Beitrag zur 'Berliner Kunstepoche', um dann zu zeigen, wie Preußens Niedergang (und damit verbunden sein späterer Wiederaufstieg) Menschen berührte und von ihnen beeinflußt wurde. Unter diesen Porträts sind wunderbare Miniaturen, neben den vielen Erzählungen um die Königin Luise (eine alte 'Geliebte' de Bruyns) etwa jener Abschnitt, in dem der brave Schmidt von Werneuchen und seine lyrischen Ergüsse beschrieben werden. 'Wenn beim Vortrag dieser Idyllen den Zuhörern Tränen ins Auge treten', so de Bruyn treffend, 'ist schwer auszumachen, ob sie von Rührung oder von Komik verursacht wurden' (S. 243). Grandios zeigt der Autor auch, wie sich die jungen Romantiker gegen die 'Zopfzeit' (Schinkel) und ihren prominentesten Vertreter Friedrich Nicolai (der tatsächlich bis an sein Lebensende einen Zopf trug) auflehnten, selbst aber auch zur Zielscheibe anderer wurden.
De Bruyn liefert Kunst- und Literaturgeschichte gleichsam über die Hintertreppe ' um mit Wilhelm Weischedel zu sprechen ' besser noch: durch Küche und Schlafzimmer, wenn er etwa die leidenschaftliche Affäre zwischen der damals 33-jährigen Dorothea Veit und dem acht Jahre jüngeren Friedrich Schlegel erzählt. Immer wieder verbindet der Autor seine Darstellung mit kleinen, aber umso gewichtigeren Aktualisierungen, ab und an bekommt auch die Literaturwissenschaft ihr Fett weg, so z.B. bei der Charakterisierung von Schlegels 'Roman-Monstrum' (S. 107) 'Lucinde', 'das eine neue Liebes- und Ehemoral stiften sollte, viele Leser aber langweilt oder überfordert, von manchen Literaturwissenschaftlern aber geschätzt wird, weil es den interpretationslüsternen unter ihnen viele Möglichkeiten zu gelehrten Anmerkungen bietet und denen, die den Roman der Moderne für den Glanzpunkt eines Kunstfortschritts halten, als ein Meilenstein auf dem Weg dorthin erscheint.' (ebd.)

Doch de Bruyns Aktualisierungen greifen auch ins Politische, und man sollte ihm zumindest gut zuhören an solchen Stellen, wenn er etwa im Zusammenhang mit Fichtes 'Reden an die deutsche Nation' (deren Beerbungen im 20. Jahrhundert er zurecht als 'katastrophal' bezeichnet) bilanziert: 'Zu diesen Lehren muß aber auch die Erkenntnis gehören, daß in der bisherigen Geschichte Nation und Demokratie immer eng verbunden waren, so daß man Gefahr für die Demokratie wittern sollte, wenn es, wie manche wünschen und schon bald erreicht zu haben meinen, mit den Nationen zu Ende geht.' (S. 466)

De Bruyn ist ein Meister auch der psychologischen Charakterisierung: Wer einmal gelesen hat, was Heinrich von Kleist und Dietrich Heinrich von Bülow (dessen Verachtung für das russische Zarenreich ihm den Tod bringen sollte) in seinen Augen gemein haben, wird es nicht mehr vergessen: '[B]eider Leben waren bestimmt von Fluchtversuchen, die um der individuellen Selbstbestimmung willen unternommen wurden, aber scheitern mußten, weil sie das, was sie verlassen wollten, in Form von Pflichtgefühlen in ihrem Selbst immer mitschleppten, so daß sie auch außerhalb des beengenden und schützenden Geheges ihres Standes das Glück nicht fanden, und so das Ergebnis eines jeden Ausbruchs die Heimkehr war.' (S. 447)

Der aufmerksame Leser von 'Als Poesie gut' (übrigens eine Reaktion Friedrich Wilhelm III. auf eine politische Denkschrift) wird viel lernen, und gerade auch Literaturwissenschaftler werden am Wegesrand das eine oder andere Thema finden, dem es nachzugehen lohnt. Die ausgiebige Bibliographie ist ein weiteres Plus des Bandes, dem man vor allem viele studentische Leser wünschen darf. Das Beste jedoch ist das den letzten Worten innewohnende Versprechen: 'Ende des ersten Teils'.