Unter der Tarnkappe
Felix Hartlaub. Eine Biographie

'Was wäre, wenn...' ist die Ausgangsfrage aller Literatur; manchmal, in ganz seltenen Fällen, bezieht sie sich aber mehr auf den Autor und sein Leben als auf die von ihm geschaffenen Texte. Felix Hartlaub ist solch ein Fall: Was wäre, wenn er den 2. Weltkrieg überlebt hätte? Wie sähe die deutsche Nachkriegsliteratur aus? 'Anders', antworten Kritiker seit Jahren, und das obwohl Hartlaubs Werk erst einmal in die konservative Ecke gestellt wurde, weil man behauptete, er habe dem Nationalsozialisten nicht energisch genug widerstanden. Und gleich noch ein 'obwohl' schließt sich an: Seine immense Bedeutung stellt man fest, obwohl seine Werke bis heute nur in zweifelhaften oder schlechten Editionen vorhanden sind.
Monika Marose, Essener Literaturwissenschaftlerin und seit Jahren Leben und Werk Felix Hartlaubs auf der Spur, räumt nun in ihrer Biographie des Schriftstellers mit so mancher Legende auf, ohne dabei die Grundannahme in Frage zu stellen: Auch bei ihr bleibt er ' zurecht, möchte man gleich hinzufügen ' ein bedeutender Autor.
Felix Hartlaub, 1913 als Sohn des bekannten Kunsthistorikers Gustav Friedrich Hartlaub geboren, verbrachte das, was man eine harte Kindheit und Jugend nennt. Schuld daran war v.a. der Vater, der seinen Sprößling früh mit seinen Erwartungen überforderte: 'Der engagierte Kunstwissenschaftler organisierte zahlreiche Ausstellungen, darunter auch eine Schau mit Arbeiten junger, realistisch malender Künstler im Jahr 1925. Er gab ihr den Titel 'Neue Sachlichkeit' und wurde damit zum Begründer dieses Epochenbegriffs. Als Kunsthistoriker war Hartlaub außerordentlich einfühlsam. ' Weniger sensibel zeigte sich Gustav Friedrich Hartlaub indes als Familienvorstand. ' Sicher meinte er es gut, wenn er die Kinder zu künstlerischen Höchstleistungen ermunterte, gewiß forderte er nur, weil er fördern wollte.' (S. 24) Das Ergebnis war ein anderes: Die vom Vater erwarteten Leistungen erdrückten die Kinder beinahe und setzten besonders Felix zu, den der gestrenge Papa überall als Wunderkind pries. Sogar Mal- und Dichterwettbewerbe veranstaltete er mit seinen Kleinen ' und war dabei ein gnadenloser Kritiker. Zwar entdeckte Felix auf diese Weise sein schriftstellerisches Talent, aber es sollte lange dauern, bis er sich vom Vater emanzipieren konnte und endlich seinen eigenen Weg beschritt. Über Jahre blieb er in dessen Schatten, brach Angefangenes immer wieder ab, entweder weil es den Ansprüchen des Familienoberhaupts nicht entsprach oder weil er selbst ' die Verdikte des Vaters vorwegnehmend ' sich, seiner Sprache und den Stoffen nicht traute. Sein 'Hang zum Fragment', der ihm von vielen Kritikern unterstellt und manchmal gar zu Gute gehalten wird, ist nichts anders als Ausdruck tiefer innerer Unsicherheit.  
Eigentlich wurde Hartlaub erst, als er zur Wehrmacht eingezogen und so mit der ungeheuren Maschinerie der Kriegsführung vertraut wurde. Als promovierter Historiker mußte Hartlaub sehr lange nicht an die Front, sondern hatte das 'Glück', als Mitarbeiter in der Abteilung 'Kriegstagebuch' direkt beim Oberkommando der Wehrmacht bzw. im Führerhauptquartier arbeiten zu müssen. Hier stieß ihn immer mehr ab, wie der Krieg versachlicht wurde, wie aus Katastrophen in Aktenvermerken ablegbare, knapp zu beschreibende Episoden wurden, kurzum wie der Krieg alle und jeden entmenschlichte, auf je eigene Art. Es war die Zeit, in der Hartlaub seinen Stil fand, seine Beobachtungsgabe nutzte, um ein dichtes und hochliterarisches, bisweilen satirisch-demaskierendes und doch auch nüchternes Protokoll aus diesem Sperrkreis im doppelten Sinne zu entwerfen, das bereits in kurzen Episoden aufleuchtete und zu einem großen Werk zu reifen begann.
Wie und was Monika Marose erzählt, macht deutlich, daß es nicht übertrieben ist zu behaupten, mit Felix Hartlaub hätte die Nachkriegsliteratur einen bedeutenden Vertreter gefunden. Seine Einsichten jedenfalls in die Art, wie Erzählen nach der allumfassenden Katastrophe noch möglich gewesen wäre, verbinden ihn mit zentralen Ideen nach 1945: 'Man wird mit ganz kleinen Geschichten anfangen müssen, ohne alle Hilfsmittel und Ansprüche, allein aus dem Erleben dieser letzten Jahre heraus.' (S. 158)
Der Verfasserin gelingt insgesamt ein eindrucksvolles, gut lesbares, bisweilen gar spannendes Porträt eines Künstlers, dem die volle Entfaltung seines Talents durch seinen Tod in den allerletzten Tagen des 2. Weltkrieges versagt blieb. Monika Marose deckt dabei auch auf, daß Hartlaub sehr wohl ' über seine Freunde Irene Lessing und Klaus Gysi ' Verbindungen zum kommunistischen Widerstand hatte, wenn er auch nicht 'operativ' in die Geschehnisse eingriff, sondern wahrscheinlich 'nur' Informationen aus dem OKW lieferte. Das Werk ist gut recherchiert, wenn es sich auch an entscheidenden Stellen vorwiegend auf die Erinnerungen von Beteiligten stützen muß. Nur manchmal jagen einem einzelne Sätze Schauer über den Rücken, sei es ob ihrer Unbedarftheit, sei es aus fehlgegangener Provokation: So etwa die kühne Behauptung, die Führung von SPD und Gewerkschaften habe sich 1933 'dem Gegner fast ohne Gegenwehr ausgeliefert.' (S. 45) Hier darf man Frau Marose noch einmal  ein vertieftes Studium wünschen. Auch zu pauschale Behauptungen wie die, daß 'der Holocaust ' von Seiten der Wehrmachtführung geleugnet' wurde (S. 144), machen den Leser ratlos: Wer soll denn die werten Herren mit dem 'Holocaust' (sic!) damals ernsthaft konfrontiert haben, so daß sie ihn 'leugneten'?
Trotzdem: Marose ist ein wichtiges, ein längst überfälliges Buch gelungen, das hoffentlich dazu anregen wird, auch Felix Hartlaub und seine Texte wieder neu zu lesen.