Schillers Schreibtisch in Buchenwald
Bericht

'Zwischen uns und Weimar liegt Buchenwald', bemerkte der aus dem Exil zurückgekehrte Germanist Richard Alewyn 1949 in seiner Kölner Vorlesung 'Goethe als Alibi' einst so treffend ' und blieb doch lange ungehört. Denn: Wie machte man das, über Weimar und Buchenwald zugleich zu erzählen? Wie sollte man von Goethe, Schiller und Koch, Pister in einem Atemzug sprechen? Dieter Kühn hat es getan, und man darf festhalten: Er hat es sehr gut getan.
Kühn erzählt dem staunenden Leser zunächst einmal, daß im Jahr 1943 im KZ Buchenwald eine Kopie von Schillers Schreibtisch angefertigt wurde. Der Grund war lapidar: Der Krieg war soweit vorangeschritten, daß die alliierten Bomber immer tiefer ins Reich drangen und damit auch Weimar bedrohten. Man wollte Schillers wichtigste Möbelstücke schützen und sie bombensicher unterstellen, freilich sollte das Schillerhaus weiterhin offen bleiben ' es war auch für viele Soldaten, die in der Etappe kurzfristig verschnaufen durften, eine zu wichtige Attraktion. Ohne die Möbel machte das Haus aber wenig Sinn, und so verfiel man in maßgebenden Kreisen auf die Idee der Kopie, die auch tatsächlich entstand und wundersamer Weise bis heute überlebt hat.
Kühn nutzt diese historische Tatsache, um zum einen Schillers Suche nach einem Schreibtisch zu erzählen (die er aber durchaus metaphorisch versteht als eine Suche nach Seßhaft-Werden und somit routinierterer Kreativität) und zum anderen zu erklären, warum es Schillers Möbel waren, die man so fürsorglich behandelte und nicht etwa Goethes. Damit gelingt Kühn aber ein tiefer Blick in die nationalsozialistische Rezeption des Klassikers, was sich äußerst spannend liest.
Kühn berichtet so etwa ausführlich von den reichsweiten Schiller-Feierlichkeiten 1934, die den Württemberger stilisieren wollten als Vorläufer der Nationalsozialisten, und immer wieder zitiert er aus Goebbels Tagebüchern, aus denen auch deutlich wird, wie man die Weimarer Großdichter gegeneinander maß: 'Goethe ein krasser Egoist, der heute uns wahrscheinlich genauso gegenüberstehen würde, wie Richard Strauss uns gegenübersteht, Schiller ein Revolutionär, Idealist und Phantast, der, wenn er Goethe auch dichterisch und künstlerisch nicht gewachsen ist, ihn menschlich turmhoch überragt. Der Führer ist in diesem oder jenem Punkt anderer Meinung, schließt sich aber nachher meinem Urteil über Goethe an. Auch er hat zu ihm kein richtiges menschliches Verhältnis.' (S. 226f.)
Kühn vermag zu erklären, wie es zu dieser fatalen Beerbung kam, daß es in gewisser Weise sogar an Schiller selber lag. Er macht dies deutlich an einer sich verselbständigenden Sentenz aus 'Kabale und Liebe': 'Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands ' Ich verwerfe dich ' ein teutscher Jüngling!'. Kühn erläutert: 'Mit solchen Formulierungen (die man heute in Bühnenfassungen streicht) hat Schiller Vorleistungen erbracht für Mißbrauch. Dabei wiederholt sich freilich das Malheur, daß man die Äußerung einer Bühnenfigur ausgibt als Meinung des Autors. Schiller war, in diesem Fall aber klug genug, das chauvinistische Vorurteil der Bühnenfigur in einer bald darauf folgenden, hochemotionalen Szene zu revidieren '. Jedoch: die (erste) Rollen-Äußerung wurde aus dem Stück gelöst, machte sich selbständig als 'geflügeltes Wort' ' und ließ sich kaum noch einfangen.' (S. 97f.)
Freilich zeigt Kühn auch immer wieder, wie viel Zündstoff sich in Schillers Stücken für die Nationalsozialisten verbarg, und warum man zunehmend mehr Dramen von ihm nicht mehr gespielt sehen wollte. Die 'Gedankenfreiheit' des Marquis Posa ist da nur ein Beispiel.
Man könnte sich fragen, warum es Kühn nicht dabei beläßt, 'nur' von der Benutzung eines Klassikers durch das NS-Regime zu erzählen, sondern stattdessen auch eine Biographie Schillers liefern will. Das aber ist der stärkste, auch der sympathischste Teil des Buches: Kühn macht nie einen Hehl daraus, wie sehr er Schillers Humanität zugetan ist, wie ' recht eigentlich ' verliebt er in dessen Programm der menschlichen Vervollkommnung ist. Wenn man Kühns Buch zu Ende gelesen hat, dann versteht man, wie wenig sich Schiller wirklich zu einer ideologisierenden Vereinnahmung eignet und wie sehr man ihn dagegen mit sich selbst schützen kann. Somit versteht man auch, warum die Nazis mit ihrem Schiller-Bild letztlich scheitern mußten: Während sie zum Kriegsende hin, wie erwähnt, Inszenierungen von Schiller in immer rascherer Folge einschränkten ' rezitierten im Buchenwalder KZ (der Schreibtisch stand zu dieser Zeit in direkter Nähe auf dem Lagergelände!) Häftlinge den Dramatiker und machten sich durch ihn Hoffnung.
Dieter Kühn ist ein bemerkenswerter Beitrag zu einem Genre gelungen, von dem man in Deutschland immer behauptet, es finde hierzulande (anders etwas als in England) keine Leser: die literarische, die laien-wissenschaftliche Reportage. Da mag man auch den einen oder anderen vom Fischer-Verlag nicht gewohnten Druckfehler (z.B. S. 54 ' Frick war natürlich Innenminister, nicht Kanzler) und einige wissenschaftliche Ungenauigkeiten (etwa zur Lagersprache) tolerieren.