Generationenforschung

Generationenforschung hat Konjunktur, wobei 'Generation' oftmals nur als verkaufs-förderndes Argument dient. Letztendlich war es angebracht, aufbauend auf Karl Mannheims Abhandlung über das 'Problem der Generationen' aus dem Jahre 1928, herauszuarbeiten, was Generationenforschung zu sein hat, was sie von Studien über Alterskohorten unterscheidet, welchen Erkenntniswert sie besitzt und welche Fallstricke der Forscher zu beachten hat. Dies ist gut gelungen. Kurzum: Ulrike Jureit hat sicherlich die beste Arbeit zur Theorie der Generationen vorgelegt, nicht jedoch einen Leitfaden für den forschenden Historiker, schon gar nicht für Forschungen über die Zeit vor dem 20. Jahrhundert, obwohl das schmale Bändchen in der Reihe 'Grundkurs Neue Geschichte' erschienen ist. Die Ausführungen lassen eine sehr solide Ausbildung der Autorin in Soziologie vermuten. Am Anfang steht eine Auseinandersetzung mit den Klassikern der Generationsforschung. Für Karl Mannheim war Generation ein Miteinander von Individuen, die sich untereinander verbunden fühlen, ohne daß sie eine konkrete Gemeinschaft bilden. Dies galt für ihn vor allem nach dem Totalereignis des Ersten Weltkrieges. Zugleich wies Mannheim auf die zunehmende gesellschaftliche Dynamik als Generationenbildner hin. Auch für die heutige soziologische Forschung steht fest, daß es Generationen nicht einfach nur gibt, sondern daß sie gemacht werden, daß sie nach Max Weber auf 'geglaubter Gemeinsamkeit' beruhen. Es handelt sich dabei um einen Vergemeinschaftsprozeß, der nicht allein von historischen Großereignissen herrührt, und wenn, dann nicht von einem Ereignis selbst, sondern von dessen Verarbeitung und Deutung. Wiederholungen auch mit Hilfe von Bildern tragen dazu bei, Erfahrungen zu festigen, anzureichern und diese an die Kinder und Enkel weiterzugeben, wobei heute die zunehmende Dynamik des sozialen Wandels diese auf Erfahrung beruhenden Rezepte für das Leben der nachfolgenden Generationen immer schneller entwertet.
'Generation' dient wie viele andere Begriffe und Perspektiven auch dazu, Geschichte zu ordnen. Dabei wird in der wissenschaftlichen Praxis der Generationenansatz dazu genutzt, 'konkurrierende Gesellschafts- oder Politikentwürfe an kollektive Handlungsträger zu binden', zum anderen um Geschichte zu periodisieren. So hat Detlef Peukert in der Weimarer Republik vier Generationen ausgemacht: die Wilhelminische, die Gründer-, die Front- und die 'überflüssige' junge Generation. Gleichzeitig existierten und existieren daneben familiale Generationsmodelle, bei denen das konkrete Verhältnis von Eltern und Kindern im Mittelpunkt steht mit den Sozialisations- und Erziehungsleistungen der Eltern, der Übergabe tradierten Wissens und auch den vielen Konfliktfeldern zwischen Alt und Jung.
Die Frage nach den Bausteinen von Generationen hat die Autorin mit großem Sachverstand beantwortet, nicht jedoch die Frage nach der Umsetzung in konkrete historische Forschung, was jedoch unabdingbar zu einem 'Grundkurs' gehört. Das immer und immer wieder angeführte Beispiel 'Holocaust' als Generationsbildner ist zu wenig, ebenso die Beschränkung auf das 20. Jahrhundert. Die Ausführungen über Florian Illies 'Generation Golf' und Katja Kullmanns 'Generation Ally' haben nur noch wenig mit den vorangegangenen theoretischen Erörterungen zu tun und lesen sich eher wie eine Beschreibung der Werbekampagne des VW-Konzerns bzw. wie eine Persiflage auf die Probleme heutiger Akademikerinnen. Die Bemerkungen von Ulrike Jureit zu den 'sozialstaatlichen Generationen' erklären eher die Technik der modernen Sozialversicherung als die generationsbildende Kraft, die von dieser ausgeht oder nicht. Ärgerlich ist, daß eine Auseinandersetzung mit der inzwischen sehr umfangreichen historischen Familienforschung und der Geschichte der alten Menschen fehlt. Auch hier wurde seit rund drei Jahrzehnten Generationsforschung betrieben, nur anders und mit den Möglichkeiten, die die historischen Quellen zulassen und dies nicht nur für das 20. Jahrhundert. Wer als Geschichtsstudent zu einem 'Grundkurs' greift, hätte gern auch darüber etwas erfahren.