Der Preis der Marktwirtschaft
Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland 1948 bis 1963

Trotz der Einführung der Marktwirtschaft im Jahre 1948 setzte in der Bundesrepublik Deutschland der Staat zunächst für weite Teile des Verbrauchs die Preise fest und beeinflußte so den Lebensstandard der Bevölkerung. Die vorliegende Potsdamer Dissertation untersucht Motive, Akteure und Ergebnisse der staatlichen Preispolitik in der Ära von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit den Miet-, Bahn- und Nahrungsmittelpreisen im Mittelpunkt. Unmittelbar nach der Währungsreform erwies sich der preispolitische Handlungsbedarf angesichts geringer Einkommen und einer hohen Nachfrage nach Wohnraum und Grundnahrungsmitteln als sehr hoch. Mit dem Preisgesetz vom April 1948 hatte der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, die alleinige Verantwortung für die Verbraucherpreise übertragen bekommen. Er gab mit dem Leitsätzegesetz vom Juni 1948, das langfristig die Preisfreigabe vorschrieb, für die kommenden Jahrzehnte die Richtung vor. Allein zur Sicherung des allgemeinen Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung blieben die Preise knapper Bedarfsgüter zunächst staatlich administriert. Als seit Beginn des Korea-Krieges dennoch die Preise anstiegen und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wuchs, griff die Regierung zusätzlich zu psychologischen Maßnahmen wie der Bildung eines Preisrates, eines Gesetzes gegen die Preistreiberei oder später den Maßhalteappellen des Wirtschaftsministers, die jedoch in der Praxis alle ohne Bedeutung blieben. Größeren Einfluß auf das Preisniveau hatte dagegen die Importförderung.
Die direkten staatlichen Eingriffe in die Preisbildung waren nach der Währungsreform mit dem Mangel an Nahrungsmitteln, Wohnungen und Transportmitteln begründet worden. Mit wachsender Wirtschaftsleistung und höheren Einkommen verlor das Versorgungsargument jedoch schnell an Gewicht. Dennoch reduzierte der Staat seine Eingriffe in die Preisgestaltung nicht für alle Branchen in gleichem Maße, sondern in Abhängigkeit von der Stärke des jeweiligen Anbieters. So konnte die sehr schlagkräftige Agrarlobby die Agrarpreise weiterhin hochhalten, während die Bundesbahn als Staatsunternehmen ihre Interessen kaum durchsetzen konnte und die Hauseigentümer erst mit steigendem Angebot an Wohnraum an Durchsetzungskraft gewannen. So wurden frei finanzierte Wohnungen bereits in den 1950er Jahren aus der Mietpreisbindung entlassen, während die Tarifgestaltung für den öffentlichen Verkehr dem Gemeinwirtschaftsprinzip folgte und die steigenden Defizite im Personenverkehr durch Steuermittel ausgeglichen wurden. Im gesamten Zeitraum wurde die Bahn im Gegensatz zum Wohnungsbereich nicht voll in die Marktwirtschaft integriert. Auf dem Nahrungsmittelsektor wurde die Preisbildung zunächst maßgeblich durch die Erfahrungen des massenhaften Hungers in der Nachkriegszeit beeinflußt. Dies führte dazu, daß die staatliche Preisbildung zu einer vergleichsweise großen Begünstigung der Produzenten führte. Die Politik sah sich hin- und hergerissen zwischen den Interessen der Verbraucher und denen der Produzenten. So wurden die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel nach und nach freigegeben, während die Erzeugerpreise staatlich reguliert blieben. Die Landwirtschaft erhielt staatlichen Schutz vor ausländischer Konkurrenz, blieben allerdings aus Sicht der Produzenten auf einem relativ niedrigen Niveau. Erst als die Weltmarktpreise sanken, verstand sich die Nahrungsmittelpreispolitik in erster Linie als Schutz des Agrarsektors. In der Folge entzündete sich die öffentliche Kritik an den wachsenden Subventionszahlungen sowie den Kosten für die Überproduktion.
Obwohl Nahrungsmittel- und Mietpreise für die Verbraucher angesichts relativ schnell steigender Einkommen an Bedeutung verloren, blieben sie ein Hauptargument bei den Lohnforderungen der Gewerkschaften, während die Unternehmer die steigenden Löhne zum Vorwand für Preissteigerungen nahmen. Diese Lohn-Preis-Spirale machte sich vor allem seit der Wende zu den 1960er Jahren bemerkbar. Trotzdem reduzierte der Staat weiterhin seine Eingriffe in die Preisbildung und beschränkte sich auf reine Appelle, mit denen keinerlei Sanktionen verbunden waren. Die Interventionen des Staates auf dem Gebiet der Preisbildung hatten jetzt ihre Schuldigkeit getan. Inzwischen ging es nicht mehr darum, mit Hilfe von niedrigen Preisen den Lebensstandard der Bevölkerung zu sichern, sondern mit höheren Löhnen den Anteil der Arbeitnehmer am Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Dies aber war Aufgabe der Tarifpartner und nicht mehr des Staates. Zum Abschluß ihrer sehr detaillierten und informationsreichen Studie urteilt die Autorin, die staatliche Preispolitik der Ära Erhard war zweifellos erfolgreich, da sie 'nicht unerheblich zur Stabilisierung eines neuen Wirtschafts- und politischen Systems beitrug'.