Die Autorin zeichnet die Entstehungslinien zweier Europakonzepte nach, die in den 1950er Jahren in Deutschland gleichrangig nebeneinanderstanden: die 'abendländische' und die 'westeuropäische' Idee. Während sich ab Ende der 1950er Jahre letztere ' v.a. in Gestalt der liberal-konservativen 'Europa-Union' ' allmählich im deutschen Europa-Diskurs durchsetzte, war bis dahin die radikal konservative, überwiegend katholische und elitäre 'Abendland'-Bewegung einflußreicher. Besonders sie besaß wichtige Vorläufer in der Zwischenkriegszeit und der NS-Zeit. Beide Richtungen verbanden ihr Europakonzept eng mit einem allgemeinen Gesellschaftskonzept; hierdurch erklärt sich eine stete Rückbindung der Europadiskussion an die innenpolitische Entwicklung in Deutschland. Dabei geht es der Autorin darum zu zeigen, daß das europapolitische Denken in Deutschland nach 1945 keineswegs 'teleologisch' (S. 4) auf das liberal-pluralistische Modell unserer Tage zugesteuert hat.
Zeitlich zieht sie die Linien bis zurück in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und bis um 1970. Methodisch betrachtet sie ideelle, personelle und organisatorische Kontinuitäten über die vermeintlich alles bestimmenden Zäsuren von 1933 und 1945 hinweg. Deren Relativierung ist eines der Ziele der Arbeit; ein zweites ist es, die stete Wechselwirkung von Ideen bzw. Idealen einerseits und nationalen oder anderen Interessen andererseits exemplarisch nachzuvollziehen. Gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen sollen politik- und sozialhistorisch verankert werden. Mit dieser 'erneuerten Ideengeschichte' (S. 17) will die Autorin sowohl 'alten' ideengeschichtlichen Idealisierungen als auch allzu einseitig materialistischen Sichtweisen entgegentreten.
In zwei parallel strukturierten Abschnitten skizziert sie die Entwicklung der beiden Strömungen. Das reiche Quellenmaterial besteht in beiden Fällen zum Teil aus internen Unterlagen der Organisationen und Presseerzeugnissen, zum Teil aus biographischen Materialien. Vor allem anhand der für bestimmte 'Untertypen' innerhalb der jeweiligen Strömungen als repräsentativ ausgewählten Personen (z. B. (innere) Emigranten, 'Mitläufer' usw.) verfolgt die Autorin die Entwicklung ' und d.h. in vielen Fällen: Metamorphose ' geistiger Positionen zur Europafrage von der Weimarer Republik bis um 1970. Der biographische Ansatz erweist sich dabei nicht nur als geeignetes Mittel zur Überwindung der eingeschliffenen Periodisierungen, sondern zeigt, daß tatsächlich viele über Jahrzehnte aktive Personen für die Genese jener Konzepte von erheblicher Bedeutung waren. Dabei ist bei den 'Westeuropäern' durchgängig eine weit größere Vielfalt zu verzeichnen als bei den homogeneren 'Abendländ[l]ern'.
Einen kurzen, aber wichtigen Abschnitt bildet die Positionierung katholisch-konservativer Verbände, deren Leitbild das 'Reich' bzw. 'Mitteleuropa' waren, zu den Europakonzepten der Nationalsozialisten. Ähnlich wie bei anderen Gruppen der Konservativen Revolution gab es hier trotz klarer weltanschaulicher Unterschiede eine große 'pragmatische' Affinität und Anpassungsbereitschaft. So, wie später die liberale Europa-Bewegung die NS-Großraumidee faktisch aufgegriffen, aber ideell negiert hat, leugnete auch die 'Abendland'-Bewegung nach 1945 diese vorübergehende Nähe. Noch interessanter erscheint, daß sie sich in den 1960er Jahren, durch Übernahme der Paneuropa-Union, als 'gaullistische' Alternative zur 'atlantischen' Europa-Union erneuern und erstmals Massenwirkung erzielen konnte.
Auch die relativ bekanntere Geschichte der letzteren erhält mittels verschiedener neuer Elemente eine komplexere Struktur. Dazu gehören zum einen wiederum exemplarische biographische Skizzen, zum anderen die Wechselwirkung zwischen nationalen Europaverbänden und der europäischen Ebene sowie die Frage der europapolitischen Motive von Unternehmerverbänden vor und nach 1945. Die 1950er und 1960er Jahre erweisen sich als durchaus lebhafte Phasen politischer Positionsbestimmungen der Europa-Union angesichts einer wenig idealistischen politischen Klasse in Deutschland und Europa.
Es ist verzeihlich, daß eine solche erstmalige Aufbereitung neuen Materials unter einem innovativen Ansatz fast zu faktengesättigt ist und gewisse Längen und Wiederholungen aufweist. Auch daß sich die Darstellung zunächst 'elitär' auf die Führungskader der beiden Bewegungen beschränkt, wird von der Autorin gut begründet. Kleine Kritikpunkte finden sich allenfalls bei Nebenthemen: So wird der Anteil des deutschen Widerstands an frühen Europaideen zu klein bemessen; hier hätte zumindest der Kreisauer Kreis erwähnt werden müssen. Insgesamt jedoch handelt es sich um ein lehrreiches Werk, das sowohl für an der eigenen Geschichte interessierte deutsche Europäer als auch für Historiker politischer Ideen wichtige und vor allem realistische Einsichten bietet.