Der Mythos von der 'unbefleckten' Waffen-SS hat sich in Teilen bis in die Gegenwart gehalten. Spätestens mit dem bahnbrechenden Buch von Martin Cüppers über den Kommandostab Reichsführer-SS und die ihm unterstellten Verbände ist dieser jedoch widerlegt.
Cüppers konnte bei seinen Forschungen auf die komplett erhaltenen Akten des Kommandostabes der Jahre 1941 und 1942 zurückgreifen. Erst die späteren Jahre und andere Bestände weisen Lücken auf, die er allerdings durch umfangreiche Ermittlungsunterlagen zum Teil ausgleichen konnte, ohne sich in den Fallstricken dieser schwierigen Quellengattung zu verfangen. Angesichts einer derart dichten Überlieferung ist es erstaunlich, daß erst jetzt ein solches Buch geschrieben wurde.
Schwerpunkt des Buches sind die Einsätze der SS-Truppen im Zuge des Vormarsches der deutschen Armee in der Sowjetunion 1941. In diesem Jahr wurde durch die Einbeziehung von Frauen und Kindern in die Ermordung der Juden eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die SS-Truppen des Kommandostabes hatten daran entscheidenden Anteil, sie waren tatsächlich 'Wegbereiter der Shoah'. Die SS-Brigaden des Kommandostabes operierten hinter der Wehrmacht als Sicherungskräfte im Bereich der 'Gegnerbekämpfung'. Ohne jeden realen äußeren Anlaß und allein von ideologischen Vorstellungen geleitet richteten sich die Einsätze der SS-Verbände in erster Linie gegen die Juden. War das Morden in den ersten Tagen und Wochen unter dem Deckmantel der 'Gegnerbekämpfung' noch auf die männlichen Juden begrenzt, vollzog sich in der zweiten Julihälfte 1941 ein Umschwung. Beim großangelegten Einsatz der SS-Brigaden im Pripjet-Gebiet gingen sie in noch unterschiedlicher Weise und Bereitwilligkeit zur Ermordung der gesamten jüdischen Bevölkerung, derer sie habhaft werden konnten, über. Dieser Einsatz war, wie Cüppers meint und plausibel belegen kann, der eigentliche Auftakt zur Shoah in der Sowjetunion.
Cüppers zeigt dabei eindrucksvoll und detailliert den Interpretationsrahmen auf, den die ergangenen Befehle den Empfängern ließen. Diese Befehlsempfänger waren es, die jeder auf seine Weise den Befehl interpretierten, unterschiedlich verstanden und dementsprechend abweichend voneinander in die Tat umsetzten. In diesem 'Experimentierstadium' des Mordens kam es in hohem Maße auf die Eigeninitiative der jeweiligen Einheitsführer an. Innerhalb kürzester Zeit setzte sich die radikale Linie der unterschiedslosen Ermordung jüdischer Männer, Frauen und Kinder durch. Einzelne Einheitsführer wie Gustav Lombard legten den Befehl möglichst radikal aus, andere wurden im Verlaufe des Einsatzes mit nachdrücklicheren Befehlen dazu gebracht, auch auf diese Linie einzuschwenken. Minutiös zeichnet Cüppers dabei den Kommunikationsfluß zwischen den beteiligten Stellen, zwischen den jeweiligen Verbänden, dem Höheren SS- und Polizeiführer, dem Kommandostab und Himmler selbst nach.
Im Unterschied zur Wehrmacht, die keinesfalls nur abseits stand beim Morden, oder den Polizeibataillonen handelte es sich bei den Mannschaften und beim Offizierskorps dieser SS-Verbände um hochideologisierte Kämpfer, in deren Weltbild der Antisemitismus eine zentrale Rolle spielte. Dies ist nur eines der Ergebnisse einer auf ungewöhnlich breiter Grundlage vorgenommenen Gruppenanalyse, die der Untersuchung der Praxis in der Sowjetunion vorangestellt ist. Bereits in den Jahren 1939 bis 1941 haben viele der untersuchten Männer im besetzten Polen durch antisemitische Gewalt im Alltag und durch Erschießungen bewiesen, daß sie bereit und willens waren, den Schritt von der Ideologie zur Praxis zu machen. Morden ist für sie bereits in Polen zur Alltäglichkeit geworden.
Dankenswerterweise läßt Cüppers die Untersuchung nicht 1945 enden. Wie bei anderen Tätergruppen auch schon festgestellt, konnte die Mehrzahl der von ihm untersuchten SS-Leute nach 1945 wieder Positionen erreichen, die ihrem Bildungsstand und Berufsweg vor dem Krieg entsprachen. Nicht zuletzt dieses Kapitel macht dieses Buch zu einer glänzenden und auch packenden Darstellung.