Entstehung und Typen mittelalterlicher Handschriften

Anlaß des Symposions war, daß 15 Jahre zuvor in Budapest Blätter einer bis dahin unbekannten, bebilderten Liederhandschrift (Bu: ein Doppel- und ein Einzelblatt) aus der Zeit um 1300 entdeckt worden waren. Jedes Blatt bietet auf der Vorderseite ein Bild (s. Beitrag Martin Roland) mit dem Sängernamen und auf der Rückseite Minnestrophen des Herrn von Kürenberg, des Burggrafen von Regensburg und des Vogts von Rotenburg, deren Initialen unausgeführt geblieben sind. Diese Handschrift, deren Ähnlichkeit mit der Weingartner Liederhandschrift und der berühmten Manessischen Liederhandschrift unübersehbar ist, war ihrer Schreibsprache nach (s. Beitrag András Vizkelety) offenbar im österreichischen Donauraum entstanden, aus dem wir sonst keine Lyrik-Sammelhandschriften besitzen. In jener Region fanden Lied und Spruch nur vereinzelt den Weg aufs Pergament (s. Beitrag Christa Bertelsmeier-Kierst), obgleich es ein durchaus reges lokales Interesse an Lyrik geben konnte (s. Beitrag Cyril Edwards). Um diesen für die Minnesangüberlieferung durchaus einmaligen (s. Beitrag Gisela Kornrumpf) und nicht zuletzt gerade deshalb auch sensationellen Fund schart sich das Gros der Beiträge, die sich mit Fragen der Überlieferung beschäftigen ' hier läßt Wernfried Hofmeister anhand der Textlücken der Manessischen Handschrift mittelalterliche Redaktionsarbeit lebendig werden, Franz-Josef Holznagel diskutiert die unterschiedlichen Formen der Verschriftlichung mittelhochdeutscher Lyrik ' und die auch interpretierende Annäherungen versuchen ' Johannes Janota zum Burggrafen von Regensburg bzw. Rietenburg, Peter Kern und Helmut Tervooren zum Kürenberger. Darüber hinaus setzen sich fast alle Autoren und Autorinnen mit dem spezifischen mittelalterlichen Autorbegriff auseinander. Bekanntlich werden vielfach in unseren Handschriften einem Text mehrere Autoren zugewiesen. Thomas Bein diskutiert in diesem Zusammenhang anhand des lyrischen Werks von Walther von der Vogelweide und des Liedkorpus' von 'Des Minnesangs Frühling' die handschriftlichen Autorzuweisungen und schlägt dabei die Rekonstruktion 'relativer Autorentwürfe' vor, d.h. derjenigen Entwürfe, die die einzelnen Sammler den Rezipienten und Rezipientinnen durch diese Zuweisungen vermittelten.
Außer den im Budapester Fragment genannten Autoren kommt durch Beiträge von Ulrich Müller, Anton Schwob und Franz Viktor Spechtler die Überlieferung des Mönchs von Salzburg, Michel Beheims und Oswalds von Wolkenstein, durch den Beitrag von Max Schiendorfer die Liederhandschrift Heinrich Laufenbergs in den Blick.