Im Zentrum des Bandes steht die sehr sorgfältige und optisch ansprechende Edition und Kommentierung der 'Nibelungenlied'-Handschrift L (zur Haupthandschrift A gehörend; Mainz, ca. 1350), die gegen Ende des 15. Jahrhunderts von einem für das Mainzer St. Jakobskloster arbeitenden Buchbinder als Makulatur zerstört wurde. Zwischen 1816 und 2003 wurden immer wieder Teile von ihr aufgefunden.
Von den begleitenden Beiträgen, sind jene von Mathilde Grünewald, Busso Diekamp und Bernd Schirok von herausragender Bedeutung. Grünewald ' 'Burgunden: Ein unsichtbares Volk?' räumt anhand einer kritischen Durchsicht von archäologischen und frühen schriftlichen Quellen mit dem Phantom des Burgunderreichs in Worms auf, das in so gut wie allen Nibelungenwerken bis in die Gegenwart herumgeistert. Diekamp ' '‚Nibelungenstadt'. Die Rezeption der Nibelungen in Worms' ' illustriert mit vielen Beispielen die Wirkung des Nibelungenthemas in einer von diesem besonders gezeichneten Region von der Völkerwanderungszeit bis in die Gegenwart. Schirock 'Der Untergang der Burgunden und seine christliche Deutung. ‚Nibelungenlied' und ‚Nibelungenklage' ' stellt seine umsichtige Lektüre des 'Nibelungenliedes' vor, wobei er vor allem eine christliche Deutung ablehnt. Immer wieder sind 'die Verhältnisse [...] komplexer, als den Interpreten lieb ist.' (S. 261) Wichtig für die Rezeption: Das Mittelalter hat das 'Nibelungenlied' nicht so wahrgenommen wie wir, sondern stets in Zusammenhang mit der 'Klage', jenem den Handschriften stets angefügten Epos in höfischen Reimpaarversen, das das Nibelungengeschehen unter kirchlicher Perspektive bewertet, dabei Kriemhild einen Platz im Himmel zugesteht und die Totenklagen an Etzels und Rüdigers Hof sowie in Passau und Worms ausführlich beschreibt und mit der Krönung des jungen Königs Siegfried, Brünhilds und Gunthers Sohn, endet. Diese Wertung der alten mæren ermöglichte einen leichteren Zugang zu ihnen und ist wohl auch der Grund, daß sie später in der Umgebung religiöser Texte kodifiziert werden konnten.