Zur Bedeutung berufsständischer Krankenkassen ...

Seitdem wir aufgrund der von Florian Tennstedt geleiteten Quellenedition zur Geschichte der Sozialversicherung im Kaiserreich entscheidend mehr über die Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Krankenversicherung wissen, ist auch das Forschungsinteresse an der privaten Krankenversicherung deutlich gestiegen. Erwähnt sei lediglich die Dissertation von Ingo Böhle über die PKV im Nationalsozialismus. Frau Wagner-Braun widmet sich in ihrer Regensburger Habilitationsschrift den auf einzelne Berufsgruppen ausgerichteten privaten Krankenkassen mit einem Schwerpunkt auf den Kassen der katholischen Geistlichen. Gleichzeitig liefert die Untersuchung einen breiten Überblick über die Entwicklungsgeschichte der privaten Krankenversicherung, eher als grobe Skizze für die Zeit bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ausführlicher für den Zeitraum seit Erlaß des Hilfskassengesetzes von 1876 bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Schwerpunkte liegen hier auf den Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen, so auf der Änderung des Hilfskassengesetzes im Jahre 1884, dem Erlaß des Versicherungsaufsichtsgesetzes von 1901 und des Versicherungsvertragsgesetzes von 1908. Mit Aufhebung des Hilfskassengesetzes Ende 1911 wurde die Aufteilung in gesetzliche und private Krankenkassen festgeschrieben.
Die privaten Versicherungsgesellschaften entwickelten sich erst in der Zwischenkriegszeit in Richtung auf ihre heutige Form, indem sie von der Tagegeldversicherung schrittweise auf die Erstattung der Krankheitskosten umstellten. Gleichzeitig lernten diese Gesellschaften, ihre Prämien exakter zu kalkulieren und legten bei ihren Leistungen mehr Gewicht auf Prävention. Die Entwicklung der berufsständischen Krankenversicherung wird am Beispiel der Handwerker, der Beamten und der Geistlichen aufgezeigt.
Die Untersuchung enthält eine Menge Details, auf die etwa Ludwig Arps in seiner dreibändigen Versicherungsgeschichte nicht eingegangen ist. Zu erwähnen ist etwa die Erstellung von Morbiditätstafeln im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in England und nach Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland durch Karl Heym in Leipzig. Der Band enthält zudem sehr detaillierte Statistiken über die Entwicklung der Krankenkassen, wenn es auch den meisten Überschriften an der notwendigen Präzision mangelt. Letztendlich liefert die Untersuchung völlig neue Erkenntnisse über die Geschichte der privaten Krankenkassen der katholischen Geistlichen. Insofern kann diese Studie überzeugen und stellt einen wichtigen Mosaikstein innerhalb der Versicherungsgeschichte dar. Aus sozial- und wirtschaftshistorischer Perspektive bleibt jedoch zu bemängeln, daß die gesamte Arbeit zu sehr die rechtlichen Aspekte in den Mittelpunkt stellt ' Gesetze und Statuten ', während andere institutionelle Aspekte ' gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen ' kaum Beachtung finden, obwohl sie auf Entstehung und Entwicklung dieser Kassen großen Einfluß hatten und Versicherungsgeschichte erst spannend machen.