Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo

Gustav Wilhelm Hugo (1764 - 1844), seit Juni 1792 ordentlicher Professor der Göttinger Georgia Augustana, Verfasser einiger juristischer Kompendien, gehört zu den weniger bekannten Gelehrten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, obwohl er als Begründer der historischen Schule gilt, sich um das Quellenstudium und das römische Recht verdient gemacht hat. Die Brillanz seines damals gefeierten Kollegen Savigny aus Marburg, Lehrer der beiden Brüder Grimm, erreichte er freilich nicht. Seine Stärke lag im Dozieren, seine Vorlesungen zogen viele Studenten an. Er prägte und verteidigte das Ideal des 'alten Göttingen', das er durch die politische Reaktion im Königreich Hannover gefährdet sah und dem sich auch Jacob und Wilhelm Grimm bis zu ihrer Entlassung 1837 verschrieben hatten.
Die Korrespondenz zwischen den Brüdern Grimm und Gustav Hugo ist handschriftlich nahezu vollständig überliefert; der vorliegende Band umfaßt 288 Schreiben (darunter 152 von Wilhelm und 14 von Jacob Grimm). Die Briefe reichen 'tief in Persönliches und mach[en] dieses im Kontext des Politischen und Zeitgeschichtlichen zum Gegenstand des Schreibens.' (S. 13) Die auf wissenschaftliche Fragen bezogene Korrespondenz ist relativ schmal und hat im Wesentlichen das Interesse des Juristen an der Geschichte der Wörter, die für ihn auch immer eine Geschichte der Sachen war, zum Thema: '[...] denn die Geschichte der Sprache (Das ist eigentlich Ihre Grammatik, nämlich eine innere Geschichte, eine Grammatik nach Zeiten) hängt mit der Rechtswissenschaft gar sehr zusammen' - so schreibt Hugo an Jacob Grimm am 22. Juli 1824. Von diesem selbst stammt bekanntlich die schöne Metapher, daß 'Recht und Poesie miteinander aus einem Bette aufgestanden waren.' Die eigentliche Quelle des Rechts bildete für Hugo die Volkstradition. Sein brieflicher Austausch mit den Philologen über sprachhistorische Zusammenhänge ließ ihn auf dem Gebiet des Zivilrechts 'in wichtigen Fragen eine bis dahin unbekannte Begriffsklarheit herstellen.' (S. 16) Der Philologe selbst nimmt kritische Bemerkungen zur Rechtschreibung seiner Zeit gerne an. Sehr aktuell in der heutigen Diskussion um das rechte Schreiben - er bemerkt: 'Mit heutiger orthographie und fast auch syntax wäre ich, könnte ich gleich langsam pflügen, bei weitem nicht aufs reine. Wo ist die grenze zwischen schlechtem, das sich unaustilglich festgesetzt hat und dem, das noch ausgetrieben werden kann?' (20.08.1824).
Die politischen Ereignisse des Jahres 1837 sind das Hauptthema: die Protestation der 'Göttinger Sieben' gegen die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes für Hannover und ihre Folgen. Hugo lehnte mit der großen Mehrheit der Göttinger Professoren das Vorgehen des Königs ab, wollte sich aber auch keiner Partei verschreiben und sah sich eher als Mediator. Wilhelm Grimm bestätigt dies: 'Ich würde gegen jeden streiten der behauptete Sie hätten zu irgend einer partei gehört.' (24.08.1840) Wir lesen die betreffenden Briefe als eine aufschlussreiche Ergänzung zur Bewertung der Göttinger Protestation  und sehen die Zeitdifferenz zu heute schrumpfen, wo die hochschulpolitische Arbeit in der Gelehrtenrepublik immer noch durch die Eingriffe der Landespolitik erschwerend reguliert wird.
Das Amusement kommt nicht zu kurz; Hugo an Wilhelm Grimm (21.02.1839): 'Bey der immer wiederkehrenden Versicherung des Patents u der Rede bey Eröffnung des StaatsRath, es sey blos um die Wohlfahrt des Landes zu thun fiel mir eine alte Geschichte ein, die Sie vielleicht noch nicht kennen. Herzog Carl von Wirtemberg feyerte alle Jahre in seiner Academie den GeburtsTag seiner Gräfin, da ward denn in Reden u Versen Nichts mehr gepriesen, als ihre Tugenden. Einst fragte er einen kleinen Zögling an einem solchen Tage: Was wünschest denn Du der Gräfin? u dieser antwortete, in aller Unschuld, das so oft gehörte StichWort: 'die Tugend' u kam zu einer Ohrfeige, er wußte nicht wie?'. Die Beschreibung von August Wilhelm Schlegels Garderobe bei seiner Einladung zur Tafel nach Sanssouçi erinnert an Heinrich Heines bissige Bemerkungen in dessen 'Romantischer Schule' über den professoralen Auftritt vor den Studenten (13.06.1841): 'AW Schlegel war neulich zur tafel nach sanssouci eingeladen. jeder andere geht in einem schwarzen frack hin, er aber, der als ein mann von welt erscheinen wollte, nahm schon um 9 uhr früh keine besuche mehr an, um vollständige toilette machen zu können. sie bestand aus einem zimmetfarbigen hofrock mit großen stahlknöpfen, ditto weste mit etwas kleinern stahlknöpfen, schwarzseidenen beinkleidern, weißseidenen Strümpfen, großen goldenen schnallen auf den schuhen, claquehut mit weißem plumage, spitzenjabot, und spitzen manschetten, galanteriedegen; daß alle orden die brust zierten versteht sich von selbst, der nordsternorden war bis unter den arm zurückgedrängt, auf dem haupt ein schwarzes sammtkäppchen, während das gesicht unten von einem weißen bart, wie von einem zarten pelz, ganz eingefaßt war. bei der königin soll dieser elegante anzug viel heiterkeit erregt haben. Dem Jacob hat er gesagt, er werde nicht hier bleiben, sondern nach Bonn zurückkehren, wo er mehr bequemlichkeiten habe, ein badezimmer im haus und das einsteigen in den wagen im thorweg, während er hier auf die Straße heraus müße.'
Bei der Stellensuche nach der Entlassung aus Göttingen, denkt Wilhelm sogar an Jobsharing, denn nur gemeinsam wollen die Brüder umsiedeln. Auf eine Anfrage aus Oldenburg, ob 'der treffliche Jacob Grimm wohl als Bibliothecar mit etwa 800 Thlrn.' zu gewinnen sei, antwortet Wilhelm (18.11.1839): 'wie viel stunden wöchentlich fordert nach der dortigen einrichtung das amt der bibliothek? würde gestattet, dass wenn wir beide eine stelle für den gehalt den man bloss einem zudachte annehmen, uns auch durch theilung der arbeit erleichterten? Die regierung verlöre nichts darunter, für einen gehalt, erhielte sie zwei arbeiter, die sich dafür aber nicht etwa mit andern geschäften ausserdem belasten liessen.' Wilhelm wünscht außerdem, 'daß uns das amt muße laße', das begonnene große Wörterbuch zu vollenden. Für ihn war das später gewählte Berlin durchaus nicht die erste Wahl - 'Ich erwarte von Berlin nichts und meine neigung dahin zu gehen ist nicht groß.', schreibt er am 26. November 1839. Der Ruf an die dortige Akademie erfolgte dann freilich erst ein Jahr später (8.11.1840), und auch dann wollte Wilhelm wenigstens den Winter über noch in Kassel bleiben - 'der umzug wäre für Dortchen (die sich auch heute noch nicht beßer fühlt) eine gar zu schwere sache.' (12.11.1840)
Viele wichtige Aperçus wären zu zitieren; nur eines über den oftmals unterschätzten Schelling möchte ich noch zitieren, weil mir einer unserer bekannteren Germanisten noch vergangenes Jahr versicherte, den hätte damals doch kaum einer wirklich wahrgenommen. Wilhelm berichtet am 16. November 1841: 'gestern abend 5 uhr hat Schelling seine vorlesungen eröffnet, es waren karten ausgetheilt worden, aber das gedränge war so groß, daß ich nicht in den hörsaal gelangen konnte. mehrmals versuchten die ausgeschloßenen Studenten die thür zu sprengen, aber vergeblich. wie mir erzählt wurde hat er damit angefangen ‚er kenne die wichtigkeit des augenblicks. er habe es für eine pflicht gehalten hierher zu kommen und seine überzeugung auszusprechen. man habe ihn als einen todten betrachtet, er aber werde zeigen daß er lebendig sei, und werde mutig für die wahrheit kämpfen.' der hegelschen philosophie habe er weiter nicht gedacht, als sei man schon darüber hinaus, überhaupt habe er mit großer sicherheit und vertrauen gesprochen. merkwürdig war es mir als ich in dem versammlungszimmer der professoren einen türkischen Offizier mit seiner rothen mütze und blauen quaste erblickte, der sich hinein gedrängt hatte; ob er auch in das auditorium gekommen ist weiß ich nicht, noch weniger ob er etwas verstanden hat; schade daß nicht auch einige gebildete neger zugegen waren, es würde einen hübschen vordergrund gemacht haben. Eben habe ich auch Savigny gesprochen, der mit Schellings auftreten sehr zufrieden ist. er habe mit tact und würde geredet. zwar habe er abgelesen, aber das lebendige der worte habe nicht darunter gelitten. Er sei gekommen um aufzubauen nicht niederzureißen, er wiße daß er vielen lästig komme, die den kampf mit ihm aufs neue beginnen würden, er sei noch nicht todt, wie man von ihm gesagt habe. Berlin sei wie ein großer see, der von einem leisen hauch nicht bewegt werde.'
Der vorliegende Band repräsentiert den hohen editorischen Standard der bisher in dieser Reihe erschienen Bände. Die Briefe sind einzeln, sehr ausführlich und verständlich kommentiert, und dies nicht nur für Kenner der Szene, so daß über das 'Kleingedruckte' ein anschauliches Wissensspektrum nicht nur über die biedermeierliche Gelehrtenwelt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern über eine Zeitgeschichte 'von unten' zu erarbeiten ist.