Mozarts Leben

Unter den etwa zehn Biographien über Mozart, die sich im Verlauf der Jahre beim Rezensenten angesammelt haben, ist diese wohl die prägnanteste - um ein Gesamturteil gleich vorwegzunehmen. Doch wie jedes sogenannte Sachbuch hat es neben seinen starken auch seine schwachen Seiten - im doppelten Wortsinn.
Zunächst zu den schwachen: Der Autor ist ein ausgewiesener Historiker, aber auch ein Mozart-Enthusiast. Er ist aber kein Musikwissenschaftler. Diese ambivalente Position verleitet ihn häufig dazu, in subjektiven Gefühlen über eines seiner Lieblingsstücke zu schwelgen, ohne daß immer eine musikologisch fundierte Analyse nachgereicht wird, die seine Empfindungen nachvollziehbar machen. Man könnte dieses Schwelgen bei einem sonst eher nüchternen Engländer mit dem bösartigen Begriff eines 'Elgar-Syndroms' belegen; doch sind auch andere hochangesehene Biographen wie etwa Alfred Einstein nicht gegen diese Krankheit gefeit. Weniger dem Autor, als vielmehr der Übersetzerin sind einige Anglizismen im weiteren Sinne anzulasten, so z. B. die Wiedergabe von 'double bass' mit 'Doppel-(Kontra-)Baß' ('Kontrabaß' wäre ausreichend und zutreffend) oder die bei einem deutschen Lesepublikum unnötige Einführung von (Carl Maria v.) Weber als einem romantischen Komponisten. Daß sehr rezente Forschungsergebnisse nicht eingearbeitet wurden, liegt sicher an dem Vorlauf für die Publikation eines jeden Sachbuches. So fehlt der Hinweis, daß der Ausruf 'viva la libertà!', mit dem Don Giovanni im Finale des ersten Aktes alle, auch die maskierten Gäste zu seinem Fest einlädt, in der Prager Uraufführungspartitur besonders hervorgehoben ist als Ausdruck eines politischen Begehrens des erwachenden tschechischen Nationalismus.
Doch nun zu den guten Seiten: Rosselli lehnt von vornherein dezidiert jede platte Psychologisierung von Mozarts Person, seinen Werken oder seinem sozialen Beziehungsgeflecht ab, im Gegensatz zu manchem Pseudo-Freudianer, der sich hierzu bemüßigt fühlt. So hält er nichts von der Deutung Donna Annas als heimlicher Geliebten Don Giovannis, die sich von E.T.A. Hoffmann und Sören Kierkegaard bis zu heutigen Regisseuren dieser Oper wie ein roter Interpretationsfaden hindurchzieht, und läßt nur historisch vertretbare Auffassungsvarianten für eine Opera buffa gelten. Diese historische Genauigkeit zeigt sich besonders auch in seiner detaillierten Schilderung des sozialen Mikro- und Makrokosmos, in dem der Mensch Mozart lebte und dessen immanente Zwänge auch häufig seine Lebensentscheidungen beeinflussen mußten. Besonders ausgeprägt zeigt sich diese Haltung Rossellis in seiner Beschreibung des Vater-Sohn-Verhältnisses als sozialen Angelpunktes in Mozarts Leben. Und wenn der Autor keine endgültige Erklärung für ein Geschehnis oder ein Phänomen liefern kann, enthält er sich expressis verbis jeder Spekulation. Dem Rezensenten erscheint diese Haltung - allerdings nur an einigen wenigen Stellen - als übertrieben vorsichtig wie z. B. bei der Bearbeitung des Themas 'Treue - Verführbarkeit' in der Oper Così fan tutte, das in rezenten Aufführungen eine tiefergehende Analyse erfahren hat.
Wie in einer heutigen Biographie unbedingt notwendig, wird natürlich mit den romantischen Legenden über Mozarts Vergiftung und Armenbegräbnis aufgeräumt sowie einem weiteren Rattenschwanz von Mythen, die sich noch immer hartnäckig um sein Leben ranken. Alles in allem bietet das Buch eine erfrischende Lektüre, die den Kopf klar macht für diesen Genius, der nicht nur für Rosselli der größte musikalische Heros ist. Und wenn der Rezensent unter den zehn Biographien, die sich bei ihm angesammelt haben, wählen müßte, würde er dieses Buch mit auf seine einsame Insel mitnehmen.