Der Judenhass
Eine Geschichte ohne Ende?

Dem Buch von Sebastian Voigt geht es wie den vielen Neuerscheinungen zum Antisemitismus der letzten Monate: Mit der Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den vielfältigen Manifestationen des Judenhasses weltweit danach hat es noch mehr von der Aktualität gewonnen, die es – leider – zuvor ohnehin schon hatte. Dass der Judenhass so beständig wie wandlungsfähig ist, betont Voigt an vielen Stellen seiner eingängigen und informativen Überblicksdarstellung und die sich fast schon überschlagenden Ereignisse der letzten Jahre geben ihm darin Recht.

In zehn Kapiteln schlägt Voigt den Bogen von der Entstehung des Judenhasses und seiner Geschichte in der Antike bis hin in die unmittelbare Gegenwart. Je näher er der Darstellung rückt, desto ausführlicher wird die Darstellung. Ihm gelingt das Kunststück in zwei Kapiteln auf nur gut 20 Seiten die Geschichte der Judenfeindschaft vom antiken Antijudaismus bis zur Französischen Revolution zu skizzieren. Der große Vorzug seiner Darstellung in diesen beiden wie auch den anderen Kapiteln ist die gelungene und gut verständliche Verknüpfung der Schilderung der Entwicklung des Judenhasses mit dem jeweiligen historischen Kontext und dessen Geschichte. Mitunter gerät letzteres ein wenig zu ausführlich und drängt den eigentlichen Gegenstand etwas in den Hintergrund, zum Beispiel wenn es um den Antisemitismus in der Weimarer Republik geht. Für dieses Vorgehen spricht dabei allerdings der Umstand, dass Ablehnung der Moderne und des Liberalismus sowie Demokratiefeindschaft hier mit Antisemitismus Hand in Hand gehen, so dass implizit immer auch von Antisemitismus die Rede ist, wenn gerade die Demokratiefeindschaft in den Vordergrund rückt.

Voigt verwebt die historisch-gesellschaftliche Entwicklung eng mit der des Antisemitismus und macht so immer wieder auch deutlich, was er bereits in der Einleitung zurecht betont: „Der Antisemitismus trifft zuerst die Juden, ist aber kein jüdisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem“ (S. 9). Er sieht in dem Judenhass „einen Gegenentwurf zur Demokratie, zur Freiheit des Individuums und zur kritisch-aufgeklärten Debatte. Deshalb geht er alle an, ganz besonders die Nichtjuden“ (ebd.).

Ein weiterer Vorzug des Buches ist das Abrücken von einem immer noch dominanten Narrativ, von der vermeintlichen Passivität, mit der Jüdinnen und Juden ihre Verfolgung immer erduldet hätten, was mit Blick auf den Nationalsozialismus und Holocaust in dem (auch innerjüdischen) Vorwurf gipfelte, sie seien wie Schafe zur Schlachtbank gegangen. Voigt streift immer wieder Versuche und Initiative zur Abwehr von Judenhass, viel mehr ist auf solch engem Raum auch kaum möglich.

Bei allen Vorzügen von Voigts Buch zeigt sich auch hier, wie in vielen Überblicks- und Einführungsbüchern zum Thema, dass der Antisemitismus der Massen, der volkstümliche, christlich fundierte und Affekt beladene Judenhass breiter Bevölkerungskreise unterbeleuchtet bleibt. Im Vordergrund stehen oft, das sei (selbst)kritisch angemerkt, die urbanen Ausprägungen des Judenhasses in der Hochkultur und Bildungselite – freilich nicht ohne ihren großen Einfluss auf nicht unerhebliche Teile der Gesellschaft zu betonen.

Dessen ungeachtet ist Voigts Überblicksdarstellung zum Judenhass vorbehaltlos zu empfehlen. Sie ist eingängig geschrieben, überaus informativ, ausgewogen aber nicht beliebig und – leider – brandaktuell. Wer in der gegenwärtigen Situation und den sich in Teilen wiederholenden Debatten eine fundierte historische Orientierung und Rückbindung sucht, ist mit Voigts Buch bestens beraten.