69vnphim sex sexj88vn6969vn 123b5679 123b j88
Schriften aus dem Warschauer Ghetto - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Schriften aus dem Warschauer Ghetto
Bearbeitet von Karolina Szymaniak. Studien zu Holocaust und Gewaltgeschichte. Band 4

Hierzulande zählt Rachel Auerbach zu den immer noch weitgehend unbekannten Frauen und Männern, die als Jüdinnen und Juden von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und sich zeitlebens darum bemüht haben, jüdische Stimmen hörbar zu machen, um einer täterzentrierten Sichtweise nicht allein das Feld zu überlassen. Damit begann Auerbach, wie viele andere auch, bereits während des Holocaust, obwohl sie selbst unter den Verfolgungsmaßnahmen zu leiden hatte, obwohl sie hungerte und obwohl ihr eigenes Überleben ungewiss und jeden Tag aufs Neue bedroht war. Sie gehörte im Warschauer Ghetto zu dem Kreis um den Historiker Emanuel Ringelblum, der in seinem Untergrundarchiv Oneg Schabbat (Freude des Schabbat) das Leben polnischer Jüdinnen und Juden, ihre Verfolgung und Ermordung dokumentieren wollte. Nach dem Krieg setzte Auerbach diese Arbeit fort, zunächst in der Jüdischen Historischen Kommission in Polen, dann in Israel in Yad Vashem, wo sie die Sammlung der Zeugenberichte aufbaute.

Die 1899 geborene Auerbach war seit den 1920er Jahren als Journalistin tätig und setzte sich nachdrücklich für Frauenrechte ein. Mit der deutschen Besetzung Polens änderte sich auch Auerbachs Leben von Grund auf. Emanuel Ringelblum, den sie bereits kannte, bat sie im Herbst 1939, eine Volksküche einzurichten. Diese leitete sie bis in den Sommer 1942. Dorthin kamen, vor allem auch nach der Errichtung des Ghettos im November 1940, zahlreiche Intellektuelle, die nun gewissermaßen von der Hand in den Mund lebten.

In den nun – endlich – auf Deutsch publizierten Aufzeichnungen Auerbachs schildert sie in Tagebuchaufzeichnungen, die sie 1941 auf Bitten Ringelblums für das Untergrundarchiv begann, und in einem gesonderten Text, der in dem Band auch abgedruckt ist, das Leben im Ghetto und die Menschen, die zu ihr in die Volksküche kamen, um eine Mahlzeit zu bekommen. Szenisch montiert sie Ereignisse auf der Straße, Beobachtungen und Porträts zu einem eindringlichen Panorama des Lebens im Ghetto, von den Bettlern, den Kindern, vom Überlebenskampf und Niedergang von Intellektuellen wie dem Journalisten und Schriftsteller Boruch Czebucki (1895–1941) oder einem Sportler wie Abraham Braxmeier (ca. 1888–1942). Sie erzählt von dem Dichter Josef Kirman (1896–1943), der unermüdlich wie ein Getriebener durch das Ghetto zieht und Geld an bettelnde Kinder verteilt. Immer wieder fängt Auerbach kleine Szenen ein, die solchen Lichtgestalten ein kleines Denkmal setzen oder die in wenigen Sätzen den ganzen Schrecken des Ghettos für einen Moment aufscheinen lassen. So berichtet sie von einer Kinderleiche, die am Eingang einer Konditorei liegt, bedeckt von einem Plakat, das anlässlich des „Monats des Kindes“ aufruft: „Retten wir die Kinder! Unsere Kinder müssen leben!“ (S. 89). An anderer Stelle erzählt sie von dem Gespräch zweier Mädchen über Gärten und Parks und bemerkt, dass die Jüngere der beiden nichts dergleichen kennt, keine Vorstellung von dem Grün der Natur hat, weil es das im Ghetto praktisch nicht gibt. Auerbachs Text ist kein klassisches Tagebuch, denn es wurde eigens für das Untergrundarchiv verfasst und von einem seiner Mitarbeiter, von Eliasz Gutkowski (1900–1943), gelesen und kommentiert. Dennoch ist es auch ein sehr persönliches Zeugnis, in dem Rachel Auerbach auch ihre Verzweiflung und ihre Träume dokumentiert.

Mit Auerbachs „Schriften aus dem Warschauer Ghetto“ wird ein wichtiges Zeugnis zugänglich, das auf knappem Raum so viel über das Ghetto zeigt – den Überlebenswillen der Menschen, das Ringen um ihre Würde, Humor und Solidarität, aber auch das Elend, den Hunger, die Gewalt und das Morden. Karolina Szymaniak bringt in ihrer vorzüglichen Einleitung den Leserinnen und Lesern Rachel Auerbach näher. Es wäre zu wünschen, dass dies der Ausgangspunkt für eine weitere Beschäftigung mit Auerbach und ihren Arbeiten ist.