»Der kecke Griff nach der Bibel und die davongetragene Beute«
Studien zu Predigt und Theologie des Bremer Pfarrers Gottfried Menken (1768–1831) (Forschungen zur Reformierten Theologie, Bd. 11)

Die Studien zur Predigt und Theologie des Bremer Pfarrers Gottfried Menken von Heinrich A. Meyer-Reichenau zielen auf eine erstmals breite Auseinandersetzung mit ihrem Protagonisten, bei der dessen theologische Prägungen, dessen Positionierung gegen die Aufklärung sowie dessen biblizistische Schriftauffassung und deren heilsgeschichtliches Verständnis im Zentrum stehen sollen. Daneben interessieren den Verfasser Menkens Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, sein Einfluss auf die Theologie des 19. Jahrhunderts sowie die bleibende Aktualität einiger von ihm adressierten Fragestellungen.

Die Arbeit zu Menken begann Meyer-Reichenau vor mehr als 50 Jahren und schloss sie nach pfarramtlicher Gemeindetätigkeit mit seiner systematisch-theologischen Promotion an der Universität Bern im Jahr 2019 ab. Insgesamt wird hier kein biographisches Anliegen verfolgt, sondern die vertiefte Auseinandersetzung mit Einzelaspekten von Menkens Werk und Wirken angestrebt. Diese Herangehensweise und möglicherweise auch der lange Entstehungsprozess führen zu mancherlei Redundanzen oder auch dem Auseinanderfallen zusammengehöriger Aspekte, die mitunter einen intuitiveren und schnelleren Zugriff erschweren. Leider sind dem Band zudem keine Register, insbesondere kein Personenregister beigegeben, die die Orientierung erleichtern könnten.

Strukturell schließen sich an fünf einleitende Kapitel, die eine Einführung, den Forschungsstand, geistesgeschichtliche Kontexte und Prägungen, einen Überblick über Menkens literarisches Œuvre sowie Vorüberlegungen zur Predigt seiner Gegenwart bieten, fünf Kapitel mit der Untersuchung spezieller dogmatischer Topoi in Menkens Predigtwerk an.

Zunächst bereitet die Darstellung von Menkens Schriftverständnis, das historische Kritik ablehnt, dem Prinzip tota scriptura verpflichtet ist und das Reich Gottes als die Mitte der Schrift postuliert, den folgenden Aspekt, die Geltung des Alten Testaments, vor. Die Prämisse, tota scriptura, verpflichte Menken zur ganzheitlichen Rezeption und Berücksichtigung der Bibel und leite seine heilsgeschichtliche Interpretation von Altem und Neuem Testament an. Als dritten Aspekt untersucht Meyer-Reichenau Menkens Christologie, bei der die Kenosis Christi sowie die Liebe Gottes zentral für sein versöhnendes Handeln an den Menschen sei, die es ebendiesem ermögliche, seine vollkommenen Anlagen zur Menschlichkeit zu entwickeln. Einhergehend mit den Möglichkeiten des Menschen zur Vervollkommnung sei die Möglichkeit zu seiner Fehlbarkeit, die zu dem als folgenden Aspekt betrachteten ökumenischen Kirchenverständnis Menkens überleitet, das sich an der Einheit der Bibel orientiert und symbolische Schriften als von fehlbaren Menschen verfasste Vorschriften ablehnt. Der letzte Aspekt betrifft Menkens Eschatologie und Geschichtstheologie, denen sein biblizistisches Verständnis, das ihn die Bibel nicht als Buch der Verheißung, sondern der Vorsehung verstehen ließ, zugrunde liegt.

Die beiden letzten Kapitel zeichnen an ausgewählten Beispielen (Friedrich Julius Stahl, Konrad von Hofmann, Albrecht Ritschl, Martin Kähler, Karl Barth) kurz die Rezeption Menkens über seine Zeit hinaus nach und schließen mit einer Zusammenfassung sowie einer Würdigung seines Wirkens.

Meyer-Reichenaus Studien zur Predigt und Theologie Menkens geben einen interessanten Einblick in das Werk eines Theologen, der außerhalb des akademischen Kontextes, aber in Rezeption desselben, seine eigenen theologischen Positionen fand, nachdrücklich vertrat und in seinem Umfeld wirksam werden ließ. Dabei werden seine nachhaltige Beeinflussung und sein Rückbezug auf Johannes Coccejus (1603–1669), Johann Albrecht Bengel (1687–1752) und Samuel Collenbusch (1724–1803) nachvollziehbar und anschaulich. Die Frontstellung, die Menken gegen die Aufklärungstheologie eingenommen zu haben meinte, wird, die durch neuere Forschung aufgezeigten, fluiden Grenzen der Aufklärungstheologie übersehend, hier im Ganzen aus den Quellen zu plakativ übernommen, wenngleich Meyer-Reichenau an mehreren Stellen selbst auf die Nähe von Menkens Ansichten zu aufklärerischen Überzeugungen hinweist. Im vorletzten Kapitel zur Wirkungsgeschichte Menkens, aber auch andernorts, werden nicht direkt die Quellen konsultiert, sondern häufig auf das Urteil von Sekundärliteratur über Menken oder über sein Verhältnis zu den ihn Rezipierenden zurückgegriffen und dieses nachvollzogen, anstatt dass Meyer-Reichenau selbst zu Wort käme. Auch die häufig eingestreuten Bezugnahmen auf Karl Barths (1886–1968) Menkendeutung und -rezeption können mitunter wie eine Überprüfung von deren Angemessenheit als ein weiteres Anliegen der Arbeit anmuten. Dazu trägt auch die Wahl des Titels bei, der – leicht verändert – einer Aussage Barths entstammt und der innerhalb der Darstellung teilweise modifiziert, aber regelmäßig wiederkehrt. Insgesamt kann die Arbeit aufgrund der Breite ihrer Anlage zwar nicht alle initial gestellten Fragen befriedigend beantworten und äußert sich kaum zu Menkens zeitgenössischer Wahrnehmung, macht aber einen lesenswerten Aufschlag und zeigt weitere Forschungsdesiderate auf, die helfen können, die Schwelle hin zum Neuprotestantismus zu erhellen.

Ergänzt wird der Band durch eine chronologische Übersicht über Menkens Leben im Kontext seiner Zeit- und Geistesgeschichte sowie den Abdruck von neun ausgewählten Predigten Menkens, die im Band näher untersucht werden.