Das Eisenacher „Entjudungsinstitut“
Kirche und Antisemitismus in der NS-Zeit (Arbeiten zur Kirchengeschichte Reihe B: Darstellungen, Bd. 82)

Die Beiträge der Tagung „Das Eisenacher ,Entjudungsinstitut’. Kirche und Antisemitismus in der NS-Zeit“, die im September 2019 am historischen Ort, im Hotel und im Festsaal auf der Wartburg, stattfand, sind in diesem gleichnamigen Band gemeinsam erschienen.

Das Eisenacher „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ (kurz: „Entjudungsinstitut“) wurde am 06. Mai 1939 auf Betreiben der „Deutschen Christen“ und durch die Unterstützung von elf Landeskirchen mit einem feierlichen Akt auf der Wartburg gegründet. Es steht in einer Reihe weiterer (pseudo-)wissenschaftlicher Institutsgründungen der NS-Zeit, die mithilfe tendenziöser Forschung Antisemitismus und völkischer Ideologie Legitimität und praktische Umsetzung verschaffen sollten, in diesem Fall explizit im kirchlichen Bereich.

Die Herausgeber, Christopher Spehr und Harry Oelke, benennen im Vorwort die Horizonte, in denen sie eine Auseinandersetzung mit dem „Entjudungsinstitut“ für geboten sehen. In lokalen, landeskirchlichen, wissenschaftlichen und religionsbezogenen Horizonten sollen sich die Beiträge entfalten, die „die verschiedenen Problemstellungen durch ein dezidiert interdisziplinäres Zusammenwirken vertiefen, den fachwissenschaftlichen Umgang mit ihnen methodisch erweitern und ansatzweise neue Deutungsräume erschließen helfen […] [sowie] die weitere Beschäftigung mit der Thematik stimulieren könnte[n]“ (S. 23). In etwa chronologischer Reihung sind die 17 Beiträge in vier Teilen angeordnet.

Der erste Teil, „Kontextualisierung“, versammelt die Beiträge von Uwe Puschner, Wolfgang Benz, Thomas Martin Schneider und Dirk Rupnow, die sich inhaltlich mit der Völkischen Bewegung sowie ihren Religionskonzepten, Wegen zur NS-Ideologie, der „Rassentheologie“ der „Deutschen Christen“ und institutionalisierter „Judenforschung“ in der NS-Zeit beschäftigen. Diese führen aus verschiedenen Perspektiven in die Zeit- und Geistesgeschichte des „Entjudungsinstitutes“ ein und erläutern Kontexte und Entwicklungen, die dessen Einrichtung beförderten sowie dessen geistigen Horizont vorzeichneten.

Die Beiträge des zweiten Teils setzen sich mit „D[em] Entjudungsinstitut“ im Speziellen auseinander. Dabei stehen einerseits die Ideologie, sowohl in der konkreten Institutsarbeit als auch in ihrer Umdeutung nach Kriegsende, (Oliver Arnhold) und der Antisemitismus des wohl prominentesten Mitarbeiters, Walter Grundmann, im Vergleich mit Gerhard Kittel (Matthias Morgenstern) im Fokus. Andererseits wird die Wahrnehmung des Institutes von außen, im „zeitgenössischen jüdischen geistigen Widerstand“ (Christian Wiese) und durch die „Bekennende Kirche“ (Siegfried Hermle) untersucht.

Die „Fallbeispiele“ des dritten Teils nehmen in zwei Beiträgen direkten Bezug auf das „Entjudungsinstitut“, wenn Dirk Schuster die Inanspruchnahme und Dienstbarmachung der Religionswissenschaft für die Arbeit des Institutes herausarbeitet und Elisabeth Lorenz in Auseinandersetzung mit der auflagenstärksten Publikation des Institutes, dem „entjudeten“ Neuen Testament („Botschaft Gottes“), die Bibelredaktion und -rezeption desselben skizziert. Die beiden weiteren Fallbeispiele adressieren nicht direkt das Institut, sondern im Beitrag von Mirjam Loos allgemein die zeittypische rhetorische Figur der „jüdisch bolschewistischen Weltgefahr“ sowie im Beitrag von Rebecca Scherf überblicksartig die Wechselwirkungen von NS-Politik und der Inhaftierung protestantischer Geistlicher.

Der vierte und abschließende Teil nimmt zum einen in den Beiträgen von Michael Weise, Jochen Birkenmeier und Susannah Heschel die nachzeitige Sicht auf das „Entjudungsinstitut“ in den Blick. Dabei stehen die „Rechtfertigungsversuche ehemaliger Mitarbeiter“ in der SBZ (Weise) und als herausgehobenes Beispiel unter diesen sowie für die zurückhaltende Bereitschaft zur Aufarbeitung der Institutsaktivitäten Herbert von Hintzenstern (Birkenmeier) im Zentrum. Es zeigt sich, dass die Sicht der vormaligen Mitarbeitenden auf ihre Tätigkeit an bekannten „Entschuldungsnarrativen“ partizipiert, um ebendiese zu rechtfertigen und die eigenen Abwege zu verleugnen. Zudem wird mancherorts sogar weit über 1945 hinaus die Berechtigung der dort geleisteten Arbeit behauptet und deren wissenschaftliche Beforschung abgelehnt. Die Darstellung der Historiographie des Institutes bis in die Gegenwart (Heschel) zeigt nicht nur das bisher Erreichte auf, sondern legt insbesondere die Notwendigkeit weiterführender Forschungsfragen nahe, die der zeitgleichen Existenz des Institutes in mehreren Bezugssystemen („Kirchenpolitik, die DC, protestantischer theologischer Antijudaismus, deutscher Antisemitismus, nationalsozialistische Weltanschauung, der Krieg, die Verfolgung und der Völkermord an den Juden“ [S. 350]) zu genügen habe. Zum anderen weitet der Beitrag von Stephan Linck den Blick über das Umfeld des „Entjudungsinstitut[es]“ hinaus auf den Umgang der norddeutschen Landeskirchen „mit NS-Vergangenheit und Antisemitismus“ und der Beitrag von Veronika Albrecht-Birkner verdeutlicht Forschungsdesiderate in Hinblick auf den jüdisch-christlichen Dialog in BRD und DDR, aber auch in deutsch-deutscher Perspektive sowie auf institutioneller und privater Ebene.

Der Band bündelt auf eindrückliche Weise Forschungen zu den Kontinuitätslinien, an denen die Gründung des „Entjudungsinstitutes“ teilhatte, sowie zur Verbreitung und Popularisierung seiner Ideologie in der konkreten Arbeit und in seinen Publikationen. Die vorgelegten neuen Ergebnisse, die auch aus der Untersuchung von nachgelassenen Archivalien gewonnen wurden, können dazu anregen, die Forschung zu weiteren Mitarbeitenden, spezifischen Arbeitsgruppen des Institutes oder deren Veröffentlichungen auszuweiten. Es erscheint lohnenswert, auf einer solchen personalen Ebene über die Analyse von Netzwerken und persönlichen Kontakten, den Einfluss und die Wahrnehmung des Institutes, auch über den Kreis der Mitarbeitenden und den deutsch(sprachig)en Raum hinaus, zu eruieren. Auch der Nachweis der langen Persistenz antisemitischer Überzeugungen unter den vormaligen Mitarbeitenden und deren Verharmlosung in der Nachkriegszeit macht deutlich, wo weiterer Forschungsbedarf liegen kann und stellt ebendiesen in eine größere, mindestens gesamtdeutsche Perspektive. Die Vielfalt der Kontexte, in denen das „Entjudungsinstitut“ relevant und wirksam war, und die gefundenen Forschungsdesiderate lassen einsichtig werden, warum das Institut nur multiperspektivisch, interdisziplinär und über seinen eigentlichen Wirkungszeitraum hinaus angemessen Gegenstand der Forschung sein kann und sollte.